© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Oppeln: Regionalpolitiker wollen mit Sejm-Eingabe Stimmen machen
"Wachsende deutsche Privilegien"
von Hedla Heinka

Der Vorwahlkampf um den im September dieses Jahres neu zu besetzenden polnischen Sejm hat vor kurzem mit überraschender Schärfe auch die Wojewodschaft Oppeln erreicht. Einige polnische Politiker, die Wahlkreise in Schlesien zu verteidigen haben oder erst noch zu gewinnen trachten, sind offenbar gewillt, die ethnischen Unterschiede zwischen dem polnischen Bevölkerungsteil und den rund 250.000 Deutschen in der Woiwodschaft in den Vordergrund ihrer Kampagne zu stellen und negativ zu besetzen. Ende März reichten im Sejm zwei Abgeordnete des linken Regierungsbündnisses SLD, Jerzy Szteliga und Czeslaw Sleziak, beide mit einem Wahlkreis in der Oppelner Gegend, eine bezeichnende Interpellation ein. Darin wird Ministerpräsident Cimoszewicz aufgefordert, er solle darlegen, ob die Regierung angesichts des derzeitigen Minderheitenrechts für Deutsche die "Staatsräson gefährdet" sehe. Szteliga und Sleziak begründen ihre Eingabe damit, daß die polnische Bevölkerung im Bezirk Oppeln "in Angst lebe" und durch die ihrer Meinung nach zu weitgehenden Rechte für die alteingesessenen Deutschen in allen Lebensbereichen zurückgedrängt würde. Zudem stünde das Minderheitenrecht nicht im Einklang mit der aktuellen polnischen Verfassung. Man sei zu der Ansicht gelangt, heißt es des weiteren in der Interpellation, daß der Staat mit der stillschweigenden Billigung der doppelten Staatsangehörigkeit und der vor Jahren wiedererrichteten Gefallenendenkmäler, "auf denen alle nationalsozialistischen Embleme erkennbar sind", die eigenen Hoheitsrechte verletze.

Offensichtlich in Absprache mit beiden Politikern hat die polnische "Gesellschaft der Freunde Schlesiens" in einem Offenen Brief alle Sejm-Abgeordneten aus Schlesien aufgefordert, "alles Erdenkliche zu tun, damit die Entwicklung Schlesiens durch die ständig wachsenden Privilegien für die Deutschen nicht bedroht wird". Sowohl Szte-liga und Sleziak als auch die "Freunde Schlesiens" kritisieren, daß die Bezirksregierung in Oppeln sich den Deutschen gegenüber zu passiv verhalte. Im Gegenzug würden angeblich polnische "Gedenktage und Veranstaltungen zur Erhaltung der regionalen Traditionen und des Patriotismus" entweder finanziell nur noch schwach unterstützt oder sogar ignoriert. Um "Einrichtungen und Symbole der Region" wie beispielsweise das zu Recht umstrittene "Schlesische Institut" in Oppeln oder das Insurgenten-Denkmal am Annaberg (das den "tausendjährigen Kampf der Schlesier gegen die Germanisierung" symbolisiert) kümmere man sich in Oppeln überhaupt nicht mehr, heißt es. Bereits seit September vergangenen Jahres versucht der Abgeordnete der in Warschau mitregierenden Bauernpartei, Jacek Pawlicki, eine Novellierung des Wahlrechts durchzusetzen, das bislang bei Parlamentswahlen die Minderheitenparteien von der Fünf-Prozent-Sperrklausel ausnimmt. Mit Unterstützung 52 weiterer Abgeordnete reichte er am 31. Januar eine entsprechende Gesetzesinitiative ein. Anfang April hatte die Generalstaatsanwaltschaft dem Verfassungsgericht hierzu mitgeteilt, daß das Minderheitenrecht tatsächlich nicht mit der Verfassung übereinstimme, man jedoch den "internationalen Standard" berücksichtigen möge.

Die führenden Köpfe der deutschen Volksgruppe im polnischen Staat sehen indessen der bis spätestens Ende August fälligen Entscheidung des Verfassungsgerichts mit Gelassenheit entgegen. Das Schlesische Wochenblatt (Oppeln) warf den Abgeordneten Szteliga und Sleziak mit Blick auf deren Interpellation "geistige Umnachtung" vor. Diese sei jedoch durchaus ernst zu nehmen, zumal ausgerechnet Jerzy Szteliga den Vorsitz des parlamentarischen Minderheitenausschusses führt. Unterstützung erhält die Volksgruppe von der liberalen Partei Unia Wolnosci. Deren Abgeordneter Szczygielski bezeichnete es als "katastrophal", im Wahlkampf auf die altbekannte "antideutsche Karte" zu setzen, um die polnische Wählerschaft zu mobilisieren.

Die in den letzten Wochen verübten Anschläge auf das Denkmal im schlesischen Lamsdorf, wo in einem Nachkriegslager der Polen 1945 mehr als tausend Deutsche starben, und auf ein Gefallenendenkmal in Oppeln-Vogtsdorf wertet die Bezirksregierung derweil als erste Folgen der neuerlichen Kampagne gegen die Deutschen im Land.


 
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