© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Wanderausstellung: Neuauflage propagandistischer Schauprozesse
Vergessenes über die Wehrmacht
von Alfred Schickel

Daß halbe Wahrheiten mitunter schlimmer sein können als ganze Unwahrheiten, verdeutlicht in diesen Wochen und Mo naten eine Wanderausstellung, die sich mit der früheren deutschen Wehrmacht beschäftigt. Durch die vor gestellten Bilder und Texte fühlen sich viele ehemalige Angehörige dieser Armee verunglimpft und in ihrer persönlichen Ehre verletzt. Und dies zu Recht, hat es sich doch hierzulande stark eingebürgert, daß man zunehmend mehr nach seiner Umgebung beurteilt wird als nach seiner eigenen Person und Meinung.

Diese postfaschistische Fortsetzung der ein stigen "Sippenhaft" nehmen ehemalige Wehrmachtssoldaten bei Gestaltung und Präsentation der durch Deutschland und Österreich ziehenden Wanderausstellung schmerzlich wahr und finden sich in die Kameradschaft mit angeblichen Kriegsverbrechern gestellt. Auf kündigung des fast lebenslangen Zusammengehörigkeitsgefühls mit den einstigen Gefährten in äußerster Lebensnot an der Front – oder die passive Hinnahme einer insinuierten Verallgemeinerung einzelner Untaten scheinen die einzigen Alternativen.

Ehrenrettende Versicherungen von Zeitzeugen werden von unbelehrbaren Nach geborenen als "Schutz behauptungen" abgetan und konstatierte Kriegsrechtswidrigkeiten nicht selten aus ihrem ursächlichen Zusammenhang gerissen. In dieser verkürzenden Darstellungspraxis geraten Geiselerschießungen sehr schnell zu kriegsverbrecherischen Blutbädern. Verfahrensweisen, wie sie bei den sowjetkommunistischen Nachkriegs tribunalen anzutreffen waren und zu reihenweisen "Verurteilungen" von deutschen "Kriegsverbrechern" geführt haben.

Während nationalrussische Militärbehör den jedoch heute die ergangenen Fehlurteile der Stalinzeit aufheben und die betroffenen deutschen Soldaten rehabilitieren, scheint die einschlägige Wan der aus stellung auf dem Wege zu einer Neu auf lage propagandistischer Schau prozesse im militärgeschichts wissen schaftlichen Gewand. Freilich mit dem wesentlichen Unterschied, daß die "Urteile" der stalinistischen Propaganda Tribunale von den damaligen deutschen Politikern in ihrer Rechtmäßigkeit stets entschieden be zweifelt und abgelehnt wurden (wie Konrad Adenauer im September 1955 in Moskau beispielhaft bewies), in unseren Tagen jedoch herausgehobene staatliche Gewaltenträger der umstrittenen Aus stellung eine gewisse Reverenz nicht versagen und damit in ihrer Wirkung in di rektstärken. Bei eingeforderter Begründung ihres begünstigenden Verhaltens wird nicht selten das Bonner Wehrministerium bemüht und auf dessen reservierte bis distanzieren de Ausführungen über die Wehr macht hingewiesen. So zitiert der Oberbürgermeister einer süddeutschen Groß stadt zur Rechtfertigung seiner Gastgeber Rolle das Bundesministerium für Verteidigung mit dessen Verlautbarung vom 25. April 1995, daß die "Wehrmacht partiell an der nationalsozialistischen Gewaltpolitik beteiligt war, je länger desto nach drücklicher. Sie war mit Fort schreiten des Krieges zunehmend auch in die Verbrechen Hitlers und seines Regimes verstrickt" und beruft sich weiter auf die Zeitschrift Truppenpraxis, Wehrausbildung – Zeitschrift für Führung, Ausbildung und Erziehung. In deren Juni Aus ga be 1995 war zur besagten Ausstellung zu lesen: "Die Wehrmacht als Institution, repräsentiert durch die Führung, war auf schreckliche Weise in die Verbrechen Hit ler Deutschlands verstrickt. Und so gilt es denn, mit Entschiedenheit gegen die von interessierten Kreisen immer noch ver breitete Legende anzugehen, daß die Wehrmacht als Hort der Edlen und Reinen so ziemlich als einziges Institut des Dritten Reiches sauber geblieben sei." Abgesehen davon, daß der Schreiber solch inquisitorischer Polemikkaum die Bundeswehr mitaufgebaut haben dürfte, son dern im wesentlichen die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere Heusinger, Speidel und Graf Baudissin mit ihren einstigen Kameraden, verrät er in seiner ver ab so lutierenden Urteils Anmaßung ein ge rüttelt Maß an geschichtlicher Ignoranz.

Schon ein tieferer Blick in die deutsche Zeit und Kirchengeschichte hätte ihn ei nes besseren belehren können. Als le gen däres Phantom empfand der Regens burger Bischof Michael Buchberger die Wehrmacht wohl nicht, als er sie in ei nem Brief an Kardinal Faulhaber vom 8. Dezember 1937 "unsere letzte Stütze" gegen den NS Staat nannte. Wohl nicht ganz zu Unrecht, wie sogar ein geheimer Sicherheitsdienstbericht vom 5. Januar 1942 bestätigt, in dem es heißt: "Aus einem Lehrsaal in Amlingstadt, LK Bamberg, wurde durch den Lehrer M. einen Tag, bevor er zur Wehrmacht ein rückte, das Kruzifix entfernt. Darüber ent stand bei der Bevölkerung Erregung, die sich gegenüber dem zur Aushilfe in Amlingstadt tätigen Berufsschullehrer S. Luft machte. Zu diesem kamen zwei Angehörige der Wehrmacht… und machten ihm Vorhalt über die Entfernung des Kruzifixes. Einen Tag später wurde das Christus kreuz durch die Frau des ein berufenen Lehrers M. wieder im Schulraum ange bracht".

Im Wissen um diesen Geist in der Wehrmacht zwangen auch couragierte Frauen aus der Diözese Regensburg die Schul be hörden zum Einlenken, indem sie droh ten, ihren an der Ostfront kämpfen den Ehemännern von der Entfernung der Schul kreuze in ihren Heimatorten zu schrei ben. Sie waren sich offenbar si cher, dabei nicht eine "auf schreckliche Wei se in die Verbrechen Hitler Deutsch lands verstrickte Institution" und deren An gehörige um Beistand anzurufen. Wie wäre sonst zu erklären, daß mancher ein gezogene Theologiestudent auch Front offizier zu werden gedachte? Sie und ihre gläubigen Mitchristen zeig ten sich von – heute weitgehend unbe kannten – christlichen Sinn und Bekenntnis zeichen der Wehrmacht beeindruckt. Von ihnen erwähnten die bayerischen Bischöfe in ihrem Hirtenwort vom 12. August 1941 ein Beispiel mit den Worten: "Das Oberkommando der Wehrmacht hat über die Bestattung der Kriegsgefallenen au ßerordentlich erfreuliche und pietät volle Anweisungen gegeben, die ihren Höhepunkt erreichen in der Forderung: Für jeden ein Kreuz mit Namen und näheren Angaben, oder ein großes gemeinsames Kreuz, dazu eine Tafel, auf der diese Angaben aufgezeichnet sind" und er kannten von der Kanzel herab an: "Von ganzem Herzen danken wir und mit uns wohl das ganze deutsche Volk der Wehrmacht für diese feinfühlige christliche Pflege der Ruhestätten der toten Kameraden."


 
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