© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Abendland und hohes C
Kommentar
von Lothar Höbelt

"Wer mir in unserer glaubenslosen Zeit von einer Gefahr des Klerikalismus spricht, bei dem ist’s – ich bitte um Verzeihung – im Oberstübchen nicht ganz richtig." O-Ton Ewald Stadler 1997? Mitnichten: Das Zitat stammt aus dem Jahre 1911 und ist von Friedrich Wichtl, dem Begründer einer bis heute populären Rechtsschule und Reichsratsabgeordneten der Freialldeutschen Partei (worauf ein Kollege – übrigens kein Mitglied der Familie Stix – prompt höhnte, man werde die Ex-Schönerianer jetzt wohl auf dem Eucharistischen Kongreß als Retter der Kirche preisen). Wie man sieht: Alles schon dagewesen. Auch die Debatte um Sinn und Unsinn d(ies)es Kulturkampfes hat im nationalfreiheitlichen Lager Tradition. Zum Teil war das auch damals schon eine Frage der Taktik: Zum Unterschied von den 1860er-Jahren, als Liberal und Klerikal einander ihre Gefechte lieferten, gab es 1911 nämlich einen lachenden Dritten, dem nichts lieber sein konnte als der Streit der Bürgerlichen um die Gretchenfrage, nämlich die Sozialdemokratie, die auf der Klaviatur der Lagermentalitäten souverän zu spielen verstand.

Bei Programmen freilich geht es um mehr als Taktik, oder sollte es doch zumindest um mehr gehen. Daher der Versuch einer Klärung. Es kann nicht der Sinn sein, christlichsoziale Programmatik zu übernehmen. Und das nicht, weil man finstere Inquisition oder Ständestaat dahinter vermuten müßte, sondern weil die christlichsoziale Lehre gerade in den entscheidenden gesellschaftspolitischen Fragen ein so schwammiges "Wasch-mir-den-Pelz-und-mach-mich-nicht-naß"-Gebilde ist, daß es schlechthin unmöglich erscheint, aus dem hohen C irgendwelche verbindlichen Handlungsanweisungen abzuleiten (Ein Freibrief freilich, der Politikern recht sympathisch anmutet).

Darum geht es in den entsprechenden Passagen des FPÖ-Programm-Entwurfs aber auch nicht, und schon gar nicht um persönliche Religiosität. Es wird nur klargestellt, daß – ebenso wie der Großteil der Österreicher der deutschen Volksgruppe angehört, ob sie das jetzt freut oder nicht – die christlichen Kirchen eben Teil des europäisch-abendländischen kulturellen Erbes sind – ein Erbe, von dem auch (manchmal ist man versucht zu sagen: gerade) Agnostiker und Atheisten geprägt sind. Das Christentum ist nun einmal die Religion Europas, die daher auch allenfalls in Kolonialgebieten, aber kaum auf dem Terrain anderer Hochkulturen Wurzeln geschlagen hat. Um die Erhaltung dieser kulturellen Substanz geht es (und da stünde Europa eine gewisse Wehrhaftigkeit nicht schlecht an), nicht um das christlichsozial werden, was immer das auch sein soll.


 
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