© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Manipulation für den Euro
Kommentar
von Robert Schwarz

Jacques Chirac hat eine ungeschriebene Regel der Fünften Republik gebrochen. Mit seiner formal zwar rechtmäßigen Entscheidung, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen wird Artikel 12 der französischen Verfassung zum ersten Mal für eine politische Manipulation mißbraucht. Frühere Auflösungen waren durch Krisensituationen oder durch das Fehlen einer dem Präsidenten zugeneigten Parlamentsmehrheit gerechtfertigt. Beides ist nicht der Fall. Eine latente Krisenstimmung ist zwar spürbar, doch ein neuer Mai 1968 hat nicht stattgefunden. Chirac stützt sich schon jetzt auf eine fast erdrückende Parlamentsmehrheit. Diese parlamentarische Übermacht dürfte nach dem kommenden Wahlgang wohl schwinden. Davon zu reden, durch die Neuwahl eine größere Stabilität anstreben zu wollen, ist blanker Hohn.

Neben den üblichen rhetorischen Floskeln werden die wirklichen Entscheidungsgründe an zwei Stellen in Chiracs Rede offenbar: Die geplante Einführung des Euro überschattet das gesamte politische Handeln Frankreichs. Alle Sparmaßnahmen, die die französischen Bürger zur Zeit belasten, sollen in den kommenden Jahren verstärkt werden. Wenn dann der Wahltermin nur wenige Wochen von der Auswahl der Teilnehmer an der gemeinsamen Währung entfernt liegt, konnte sich Chirac unschwer die Thematik der Wahlschlacht im nächsten Jahr ausmalen und das zu erwartende Wahlergebnis ebenfalls. Das Volk als Souverän, dem Chirac jetzt vollmundig "seine Stimme zurückgeben" will, wird nur als lästiger Störfaktor wahrgenommen. Der Wähler ist nun aufgefordert, mit einer einzigen Stimmabgabe eine Generalvollmacht für die schwerwiegendsten Umwälzungen der Nachkriegszeit auszustellen. Den Euro-Gegnern und kleineren Parteien, die mit Ausnahme der KPF noch nicht über die parlamentarische und nur über eine eingeschränkte mediale Plattform verfügen, bleiben nur knapp fünf Wochen, um gegen einen übermächtigen politischen Gegner zu Felde zu ziehen. Von Chancengleichheit darf somit nicht gesprochen werden.

Neben der Einführung des Euro kann Chirac noch eine zweite Motivation unterstellt werden. In seiner Fernsehansprache sprach er von einer notwendigen Justizreform, die die Judikative unabhängiger machen soll. Wenn man bedenkt, daß derzeit gegen mehrere Parteien der Regierungskoalition Ermittlungen wegen unsauberer Parteienfinanzierung und schwarzer Kassen laufen, könnte man versucht sein, zu denken, daß Neuwahlen vor Abschluß dieser Untersuchungen dem Ansehen von RPR und UDF in der Wählergunst weniger schaden als danach.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen