© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Botho Strauß: Feulletonisten streiten erbittert um sein neues Buch
Das Zischeln der Kritiker
von Thorsten Thaler

Als der Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß 1989 mit dem Georg-Büchner-Preis die höchste Auszeichnung im literarischen Leben der Bundesrepublik erhielt, kommentierte die Frankfurter Allgemeine, dies schaffe "endlich wieder klare Verhältnisse", denn bei all der öffentlichen Rede und Widerrede sei in Vergessenheit geraten, daß Strauß zu den bedeutendsten deutschen Gegenwartsautoren gehöre und daß er – selbst im Mißlingen – auf einem Niveau scheitere, das viele seiner Kollegen auch in ihren Glanzmomenten nicht erreichten.

Der Auszeichnung vorausgegangen waren ein Jahrzehnt produktiver Schaffenskraft von Botho Strauß – und die bei jedem neuen Werk von ihm einsetzenden Kontroversen der Feuilletonisten und Literaturkritiker. "Das zwiespältige Echo antwortet der Zwiespältigkeit des Autors" urteilte Andreas Kilb im Oktober 1989 in der linksliberalen Zeit. Einen Monat später resümierte Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung, das "Problem Botho Strauß" beginne dort, wo dessen "differenzierte Verbalisierungshaltung auf Stoffe und Visisonen trifft, die einer solchen kostbaren Prosa entweder zuwenig fordernden Widerstand leisten oder aber ihr allzusehr entsprechen".

Dabei hatte Marcel Reich-Ranicki, Doyen der deutschen Literaturkritik, den Schriftsteller einst als "große Hoffnung unserer Literatur" bezeichnet und den 1944 in Naumburg an der Saale geborenen Strauß aufgefordert, den "Roman seiner Generation" zu schreiben. Doch schon bald drifteten die Meinungen über den öffentlichkeitsscheuen und sich konsequent dem Literaturzirkus verweigernden Dichter auseinander. Spätestens seit seinem Spiegel-Essay "Anschwellender Bocksgesang" steht Strauß zudem unter einer Art politischer Quarantäne; jeder folgende Text von ihm wurde von den Kritikern prompt einer "erkennungsdienstlichen Behandlung" (Berliner Zeitung) unterzogen.

Heute zeigt sich ein Marcel Reich-Ranicki maßlos enttäuscht. Das soeben neu erschienene Buch von Strauß, "Die Fehler des Kopisten" (Carl Hanser Verlag, München), findet der Kritiker-Papst einfach nur "schlecht". Strauß’ Diktum von der "verbrauchten und debilen" Gesellschaft sei "gefährlich". Zwar seien ihm die Ansichten und Überzeugungen von Strauß völlig egal, betonte Reich-Ranicki im "Literarischen Quartett" am vergangenen Donnerstag, "wenn er nur besser schreiben könnte". Damit stand für den Großinquisitor das Urteil fest: der Daumen zeigte nach unten.

Zu der gleichen Bewertung gelangte auch Sigrid Löffler, Vorzeigefrau im "Literarischen Quartett". Die Feuilleton-Chefin der Zeit sieht in dem neuen Strauß-Buch eine "Tirade gegen die Massengesellschaft", gar ein "emphatisches Bekenntnis gegen die Demokratie". An dieser Stelle geht das Urteil der Kritikerin vollends fehl, beruht es doch auf einem eklatanten Miß-Verstehen der Strauß-Notate, einem Miß-Verstehen, dem schon ihr Zeit-Kollege Thomas Assheuer zum Opfer gefallen ist.

Assheuer findet bei Strauß, dem er das Etikett "konservativer Revolutionär" aufklebt, zwar einiges "überfällig", "verständlich" und "begreiflich". Für unbegreiflich hält der Rezensent jedoch "die penetrante Politisierung, das mit erhabenen Banalitäten übertönte Raunen von der kulturellen Schicksalsgemeinschaft der Deutschen", für die Strauß Sätze unters Volk bringe, "die jede rechtsradikale Postille dankbar in Runenschrift meißeln" würde. Als Beleg für seine These zitiert er den Strauß-Satz: "Die Deutschen waren für fünf oder sechs Jahre von ihrer Gemeinschaft berauscht. Zur Strafe mußten sie tausend Jahre lang untersuchen, wie es dazu kommen konnte."

An dieser Passage des "zögerlich vortastend Wort für Wort Setzenden", wie es in der Charakterisierung des Spiegel heißt, nimmt auch Peter Glotz Anstoß. In der Berliner Morgenpost schreibt er: "Man kann sich vorstellen, was sich hinter solchem Ressentiment verbirgt. Es möge verborgen bleiben." Dem Vorwurf, Strauß trage "antidemokratische Provokationen" vor (Jürgen Berger in der Woche), widerspricht Hellmuth Karasek energisch. Im Berliner Tagesspiegel schreibt er, wer das neue Buch von Strauß zu lesen verstehe, werde "nirgends auch nur die geringsten Spuren einer Anfälligkeit für neonazistische Ideen finden". Der Autor zeige, daß er für "keinerlei Parolen" zu haben sei, daß er "allein ist und allein bleiben will", meint Karasek. Strauß sei "die Zugehörigkeit zur jeweiligen political correctness so gleichgültig und fremd wie die Teilhabe an irgendeiner political incorrectness". Beide seien keine Bezugspunkte, die der Dichter auch nur im geringsten suchen würde.

Von einer Verunglimpfung Strauß’ als Faschist oder Reaktionär hält auch der französische Regisseur Luc Bondy nichts. Strauß besitze eine "ungewöhnliche Sensibilität und Phantasie, um Verfallserscheinungen der Gegenwart" auszudrücken. Er sei "kein Polit-Autor, der Kunst und Gesinnung vermischt", erklärte Bondy 1993 in einem Focus-Interview wenige Tage vor der Uraufführung des Theaterstücks "Das Gleichgewicht" von Strauß bei den Salzburger Festspielen. Ein "kleines Wunder" ist das jüngste Strauß-Werk für den Spiegel-Redakteur Volker Hage: "Dieses Nebeneinander von hohem Ton und Alltagsbanalität, die Montage aus Heterogenem und scheinbar Unvereinbarem, zeichnet nicht nur die Wahrnehmung des Denkers Strauß aus, sondern bezeichnet auch die Qualität seiner streng komponierten Prosa.".

Als fairer Rezensent erweist sich auch Jörg Magenau in der taz. Obwohl es einfach wäre, sich über Strauß’ "elitären Bedeutungshuber-Gestus lustig zu machen oder sich von seinem feierlichen Pathos einschüchtern" zu lassen, kommt Magenau zu einem versöhnlichen Schluß. In seiner Vorstellung ist Strauß "ein akribischer, mönchischer Fleißarbeiter im Dienste des Bewahrens, der stets das Alte will und doch – vielleicht – das Neue schafft".

Eine Rezension des Strauß-Buches "Die Fehler des Kopisten" lesen Sie in der nächsten Ausgabe der JUNGENFRIEHIT.


 
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