© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
BSE-Hysterie: Eine verwirrende Diskussion
Rinder- oder Medienwahn?
Meinungsbeitrag
von Heidrun Hagelstein

Die Frage, ob, und wenn ja, wie der Rinderwahn auf den Menschen übertragbar sei, hat in den vergangenen Jahren zu unterschiedlichsten Pressemeldungen geführt. Der jüngste Fall in Deutschland erschüttert zur Zeit weite Teile der europäischen Bevölkerung. Lassen wir die Ereignisse der letzten Jahre, seit dem Bekanntwerden des Rinderwahns, zunächst einmal Revue passieren: Bis Ende der 80er Jahre wurde krampfhaft und erfolgreich versucht, das wahre Ausmaß des Rinderwahns zu vertuschen.

1990 verhängten Italien, Frankreich und Deutschland zum ersten Mal einen Einfuhrstop für britisches Rindfleisch. Die Furcht vor Ansteckung und Übertragung auf den Menschen war größer als die Verpflichtung zur innereuropäischen Zusammenarbeit. Entsprechend beleidigt reagierte der britische Landwirtschaftsminister: "Diese Maßnahme dient ausschließlich dazu, den eigenen Markt und die eigenen Bauern zu schützen, sie ist protektoristisch und illegal." Im Oktober 1992 konnte nachgewiesen werden, daß BSE auf andere Tiere wie Schweine und Affen übertragbar ist. Der Londoner Neuropathologe Dr. Gereth Roberts gab zu, daß "eine Übertragung auf den Menschen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne."

Zehn Monate später verstarb in Großbritannien der zweite von bisher drei Rinderfarmern, in dessen Herde BSE aufgetreten war, an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Diese Krankheit gilt als das menschliche Pendant zum Rinderwahn. Univ. Prof. Dr. Richard Lacey von der Universität Leeds war nun davon überzeugt, daß diese Ereignisse kein Zufall sein könnten und äußerte sich dazu: "Unsere schlimmsten Befürchtungen werden wahr. Ich finde es unglaublich, daß die Regierung weiterhin verlautbaren läßt, daß keine Gefahr bestünde."

Allerdings hängt nicht jeder Creutzfeldt-Jakob-Fall unmittelbar mit BSE zusammen. Die Creutzfeldt-Jakob kann man auf mehreren Wegen bekommen: Zum einen gibt es sie familiär gehäuft, zum anderen kann sie nach Hornhaut- und Gehirntransplantationen oder im Zuge einer Behandlung mit Wachstumshormonen auftreten. Medizinische Eingriffe, die zum Ausbruch der Krankheit führten, wurden vor 1990 durchgeführt, seit damals ahnte man eine mögliche Gefahr und wurde entspechend vorsichtiger im Umgang mit tierischen Präparaten.

Die weder familiär noch medizinisch begründbaren, also "sporadischen" Fälle, könnten durch Genuß von infizierten Speisen ausgelöst worden sein. Den Beweis lieferte dafür 1994 ein 16jähriges Mädchen, das an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit litt und wenig später verstorben ist. Die britische Gesundheitsbehörde sah allerdings keinen Zusammenhang zwischen dem Genuß von Rindfleisch und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Bis zu einem gewissen Punkt geben ihnen Forschungsergebnisse sogar recht: Der Krankheitserreger (Prion) fand sich in großen Mengen in Gehirn, Rückenmark, Knochen und Lymphknoten, war in den Innereien nachweisbar und in den Muskeln kaum vorhanden. Inzwischen sind erste Zweifel aufgetreten, ob das bekannte Prion tatsächlich der alleinige Auslöser für BSE sein könne oder ob nicht noch eine zweite Substanz für den Ausbruch der Krankheit in verschiedenen Tierrassen und auch beim Menschen ist. Man beobachtete sogenannte Speziessprünge, zuerst vom Schaf aufs Rind und dann vom Rind auf den Menschen, wobei letzterer nur sehr schwer nachweisbar ist. Das Auftreten der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung bei Rinderbauern, in deren Herden BSE-Fälle bekannt waren, läßt diese Möglichkeit jedoch plausibel erscheinen.

Im März 1994 lehnte die EU den Antrag des deutschen Gesundheitsministers Horst Seehofer nach gemeinsamen Schritten gegen den Rinderwahn ab. Seehofer befürchtete eine weitere Ausbreitung der Seuche über den Kontinent. Gleichzeitig setzte Österreich seine Forderung nach einem Einfuhrstopp von lebenden Rindern und zahlreichen Rinderprodukten aus England durch.

Anfang 1996 beschloß die EU ein Notschlachtungsprogramm erkrankter britischer Rinderherden und erließen den lange ersehnten Einfuhrstop britischer Rinderprodukte. Dieses Verbot verlor aber dank des resoluten Auftretens der englischen Politiker bald seine Gültigkeit: Gelatine durfte nach wenigen Wochen wieder exportiert werden. Gemacht wird Gelatine, die unter anderem auch Bestandteil zahlreicher Arzneien (Kapseln) ist, aus Knochenmehl, und das kann hochinfektiös sein.

EU-Agrarkommissar Franz Fischler war aufgrund seiner Nachgiebigkeit in der Frage des Exports von Knochenmehlprodukten Zielscheibe heftiger Kritik von Abgeordneten der anderen Fraktionen. Die derzeitige Bilanz dieser "neoliberalen Agrarpolitik" (Voggenhuber) forderte inzwischen 16 Todesopfer und führte außerdem zu 23 Selbstmorden ruinierter Bauern. Auch der freiheitliche Europaabgeordnete Franz Linser warf Fischler große Fahrlässigkeit vor und forderte persönliche Konsequenzen. Unverständlich erscheint die Stellungnahme des österreichischen Bauernbundes zum Umgang mit dem BSE-Skandal in Brüssel: Franz Ledermüller, Direktor des Bauernbundes, ist der Meinung, daß Fischler zum Opfer grünen Aktionismus werden sollte.


 
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