© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Nur ein Kopftuch?
Kommentar
von Günter Rohrmoser

Ein Kopftuch versetzt in zunehmendem Maße Teile der Bevölkerung in Erregung. Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) hat einer Lehrerin moslemischen Glaubens das Tragen eines Kopftuches in einer christlichen Gemeinschaftsschule gestattet. Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) billigt diese Maßnahme und beruhigt die Gemüter mit der Feststellung, es komme nicht auf das Kopftuch an, sondern auf das, was darunter sei. Wie die Diskussion um das Kruzifixurteil gezeigt hat, ist die Bevölkerung sensibler und in Fragen der kulturellen Identität – empfindlicher als seine Repräsentanten. Selbst vom Anfang des Endes des Christentums ist die Rede, während die Befürworter Toleranz, Gleichmut und Akzeptanz beschwören.

Nun geht das Christentum nicht an einem Kopftuch zugrunde, da gibt es ganz andere Symptome und Begebenheiten. Aber man spürt, daß es sich um einen Vorgang von großer Symbolträchtigkeit handelt, der Fragen von prinzipieller Bedeutung aufwirft; zum Beispiel die Frage, von wem hier eigentlich Toleranz zu erwarten ist und wie weit Toleranz gehen dürfe. Toleranz und Religionsfreiheit können in einer extrem liberalen, individualistischen Interpretation zu einer Diktatur der Minderheit entarten. Das Kopftuch ist eben nicht nur eine Kopfbedeckung, sondern in diesem Falle ein religiöses Symbol, das an diesem Ort Bekenntnischarakter hat, ja eine religiöse Handlung darstellt, durch die sich in einer christlichen Gemeinschaftsschule der Träger zu einer Religion, zu einem Gott bekennt, der nicht der Gott der Schüler ist, zu dem diese sich bekennen oder doch bekennen sollten. Die Türkei verteidigt ja nicht von ungefähr ihr laizistisches Staatsverständnis, indem sie das Tragen eines Kopftuches in ihren Schulen verbietet. Wer selbst nichts glaubt und keine Überzeugung hat, für den ist es leicht, tolerant zu sein.

Nun ist dieser Vorgang dennoch von einer geringeren Bedeutung als die Forderung, die jüngst der Ausländerbeirat in Hessen erhoben hat. Er verlangt, daß die Verpflichtung auf eine Erziehung in christlichem oder humanistischem Geist aus der Verfassung gestrichen oder durch eine auf die jüdische und islamische Religion ergänzt werden soll. Man fühle sich durch diese Verpflichtung diskriminiert und in seiner Religionsfreiheit verletzt, heißt es. Konkret wird durch diese Forderung den Deutschen das Recht auf Pflege ihres Erbes und damit auf Tradierung der eigenen Kultur abgesprochen oder doch so empfindlich eingeschränkt, daß es auf eine geistig-kulturelle Enteignung hinauslaufen würde.


 
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