© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Minderheitenschutz: Blockade durch Diskussion um Status der Zigeunersprache Romanes
Unangenehme Wahrheiten
von Franziska Peters

Was der Europarat vor fast einem Jahrzehnt angestoßen hat, steht nun kurz davor, in Kraft zu treten: Mit der "Europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprachen" soll ein zusätzliches Instrument bereitgestellt werden, ethnische und sprachliche Minderheiten zu erhalten, zu schützen und zu fördern. Die dahinterstehende Philosophie: Diese Minderheiten sind nicht nur durch eine prononcierte Assimilierungspolitik, gar durch Exzesse, wie man sie beispielsweise in Ex-Jugoslawien beobachten mußte, gefährdet. Ihre Kultur ist auch in einem friedlichen oder sogar freundlichen Umfeld einer Erosion ausgesetzt. Sie benötigen eine infrastrukturelle Grundausstattung, um sich behaupten zu können. Die Charta stellt ihnen nun einen entsprechenden Rechtsanspruch bereit.

Inhaltlich gliedert sich das Dokument in drei Teile: Nach den allgemeinen Grundsätzen folgen in Teil II rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen zum Sprachenschutz, in Teil III ein konkreter Maßnahmenkatalog, aus dem 35 Einzelaspekte bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens erfüllt sein müssen. Die Charta ist bislang von Finnland, Norwegen, Ungarn und den Niederlanden ratifiziert worden. Gesellt sich ein fünfter Staat hinzu, tritt sie europaweit in Kraft.

Die Bundesrepublik Deutschland wäre gern dieser Fünfte im Bunde, allerdings tut sich die deutsche Seite schwer mit der Entscheidung, welche Idiome sie als Regional- und Minderheitensprachen im Sinne der Charta betrachten soll. Die Auseinandersetzung darüber schwelt nunmehr seit fünf Jahren. Unstrittig waren von Anfang an die Aufnahme des Dänischen, Sorbischen und Friesischen als Sprachen "klassischer Minderheiten" in einem geschlossenen Siedlungsgebiet. Norddeutsche Heimatvereine und Bürgerinitiativen brachten dann auch Niederdeutsch in die Diskussion. Das "Platt" sei zwar keine Minderheiten-, dafür aber die einzige Regionalsprache in Deutschland und nicht zu verwechseln mit einem Dialekt, ließ man verlauten. Da diese Sprache in ihrer Existenz bedroht sei (immerhin wird sie noch von acht Millionen Menschen im Norden Deutschlands verstanden und gesprochen), bedürfe sie dringend des Schutzes durch die Charta. Ein Gutachten, welches die Eigenständigkeit des Plattdeutschen gegenüber dem Hochdeutschen bescheinigt und es deutlich von deutschen Dialekten aller Art abgrenzt, war rasch herbeigeschafft. In den norddeutschen Landtagen kam das Anliegen auf die Tagesordnung und stieß auf breite Zustimmung. Auch im Bundestag machte eine überfraktionelle Initiative um die Abgeordneten Wolfgang Börnsen (CDU) und Carl Ewen (SPD) mobil, initiierte eine entsprechende Große Anfrage und beantragte eine (natürlich plattdeutsch geführte) Debatte zum Thema "Niederdeutsch in die Charta". Im vergangenen Jahr schien es endlich soweit, daß die Bundesländer zu einem einheitlichen und verbindlichen Votum über den Schutz ihrer Regional- und Minderheitensprachen gefunden hätten: Dänisch, Friesisch und Sorbisch sollten in allen betroffenen Ländern in Teil III, Niederdeutsch in Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zudem in Teil II und in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg wegen der geringen Anzahl der Niederdeutsch-Sprachigen nur in Teil II aufgenommen werden.

Zwar zögerten einzelne Landesregierungen ihre Verpflichtungserklärung gegenüber dem Bundesinnenministerium noch hinaus, da sie offenbar erst jetzt mögliche Folgekosten für die Schaffung weiterer Lehrstühle, Forschungsinstitute, Schulunterrichtseinheiten und Amtsformulare in Niederdeutsch realisierten, aber ein Abschluß der Charta-Beratungen noch in diesem Frühjahr war in greifbare Nähe gerückt. – Wenn sich nicht ein neues, allerdings nicht gänzlich unerwartetes Problem aufgetan hätte: Der Zentralrat der Sinti und Roma forderte den Schutz der Zigeunersprache Romanes durch die Charta. In Ignatz Bubis hatte man einen prominenten Fürsprecher.

Obwohl Romanes nach den Grundsätzen der Charta offenkundig keine Berücksichtigung finden kann, wurden die Länder um eine Mitteilung gebeten, ob sie dieses Ansinnen nicht dennoch erfüllen könnten. Diese wiederum sehen auch, daß Romanes nicht in den Kontext der Charta gehört und fürchten nicht zuletzt die finanziellen Belastungen, die auf sie zukämen, wenn sie sich trotzdem auf das Ansinnen einließen. Sie wagen es aber auch nicht, sich dem Wunsch ausdrücklich zu verschließen. Das Bundesinnenministerium, das die Debatte mit einem Verweis auf den Text der Charta von vornherein hätte abwiegeln können, hütet sich, wegen seiner Minderheitenpolitik erneut ins Gerede zu kommen. Erst kürzlich wurden dem vom Bund mitfinanzierten Europäischen Minderheitenzentrum mit Sitz in Flensburg bei seiner Präsentation in Bonn rechtsextreme Tendenzen vorgeworfen, und der für Minderheiten zuständige Beamte im Innenministerium wird seit Monaten von der linken Presse wegen seines Engagements in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) ange- gangen.

Falls Bonn die Charta noch nicht ratifizieren sollte, ist derzeit kein Staat in Sicht, der an die Stelle der Bundesrepublik treten könnte. Romanes ist in Deutschland, wie beispielsweise auch das Türkische oder Italienische sicher eine "Minderheiten-Sprache", aber eben keine im Sinne der Charta: das heißt keine "klassische", also sozusagen alteingesessene, und auch keine, die in einem geschlossenen Siedlungsgebiet verbreitet ist. Diese Feststellung ist eigentlich trivial; sie auch zu äußern allerdings unangenehm.


 
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