© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
1. Mai in Berlin: Wo bitte findet die ausgeschriebene Revolution statt?
"Nichts mehr los hier!"
von Manuel Ochsenreiter und Gerlinde Redwitz

"Bitte gehen Sie weiter!" Verständnislos stehen wir vor der netten Polizistin, die uns abwimmeln will. Sie ist nicht alleine. Unzählige Einsatzwagen und deren Besatzungen sperren weite Teile des Berliner Stadtbezirks Prenzlauer Berg ab. Der Grund: Die Unruhen der Autonomen am ersten Mai, dem "Tag der Arbeit".

"Gehen Sie doch einfach noch ein Bier trinken", rät uns unsere Freundin und Helferin. Nicht ohne "aber lassen Sie dann bitte Ihr Auto stehen" anzufügen. Wir bedanken uns herzlich für ihren Rat und suchen weiter. Was wir suchen? Die Revolution.

Irgendwie schaffen wir es, in eine abgesperrte Straße zu gelangen. Es war ein Fehler. Denn nirgendwo anders ist so wenig los, wie in einer völlig geräumten Straße. Nur hie und da gehen Anwohner in verwaschenen Jogginganzügen mit ihren Hunden gassi. Wir verlassen die triste Gegend, in der noch vor Stunden ein "buntes, multikulturelles schwul-lesbisches Straßenfest" tobte in Richtung Absperrung. Draußen nehmen wir wieder Witterung auf. Vor einem Döner-Kebap-Laden stehen mehrere Bierbänke, voll besetzt mit Leuten, die schon ziemlich rebellisch aussehen. Wir gesellen uns dazu und bestellen was zu trinken. Aus dem Radio schallt "Ich und Frau Schmidt, Romeo und Julia" und die Revolutionäre schunkeln fröhlich singend dazu.

Statt Umsturzplänen also Dorffeststimmung. Der Wirt macht hier "das beste Falafel der Welt", grölt Alwin aus Magdeburg. "Und das Bier ist wenigstens bezahlbar!" Wir prosten in die fröhliche Runde und fragen, wo denn jetzt hier der Aufstand sei. "Heute nicht mehr", sagt Alwin und deutet auf seine Büchse, "für heute bin ich schon zu breit, nächstes Jahr wieder." Nächstes Jahr, das war das politische Stichwort. Plötzlich prahlen alle wild durcheinander, wie sie 1998 die Bullen aufmischen werden. Geheime Aufmarschpläne werden entworfen. "Und du kümmerst Dich um die Getränke!" ordnet Alwin an. Auch wir sind herzlich dazu eingeladen – obwohl wir "Wessis" sind. Wir sind glücklich. Weiter geht’s, es ist schon gegen zehn Uhr. Auf der Danziger Straße parken demonstrativ Wasserwerferfahrzeuge und Räumpanzer der Polizei.

Mehrere Einsatzwagen mit Sirene und Blaulicht brettern an uns vorbei, nach kurzer Zeit kommt ein Grüppchen von ungefähr acht Leuten rennend hinterher. Einer von ihnen trägt eine rote Fahne mit einem schwarzen Stern.

Auch sie fragen wir nach der Revolution. "Wir rennen schon den ganzen Abend den Bullenwannen hinterher, aber wir kommen immer zu spät", lautet die Antwort. Leider können wir ihnen nicht weiterhelfen. Wir wünschen ihnen bei ihrer Suche viel Glück und gehen weiter in Richtung Stadtbezirk Mitte, um dort nach der Revoluion zu suchen. Vor einem Szeneclub mit lauten Jungle-Beats stranden wir schließlich. Wir trauen unseren Ohren nicht, als es über den Hof gellt: "Hey Fremdbiertrinker, stehenbleiben!" Ein sehr entschlossener Türsteher klärt uns darüber auf, wen er alles haßt: "Fremdbiertrinker, Eckenpisser und Faschos." Als Gegenmaßnahme gibt er dann dem einen oder anderen schon mal "eine auf’s Maul". Keine Frage, das klingt schon sehr revolutionär, genau das suchen wir seit Stunden. Wir entsorgen also schnell unser Fremdbier, informieren uns über die Toilette und wie "Faschos" (wer immer das auch sein soll) sehen wir offenbar nicht aus. Beste Überlebenschancen also.

Mike, so heißt der schon etwas ältere Student der FU-Berlin, erzählt uns viel über "Machthaber, Polizeistaat, gesellschaftliche postfaschistische Transmissionsriemen, und und und…" Wir sollen uns auf dem Heimweg Gedanken darüber machen, dann werden wir schon sehen. Ach ja, und überhaupt, selbst Tony Blair, der britische Labour-Führer und neue Premier ist auch nur ein "Sozialfaschist". Um soviel Weltverschwörung auf einmal zu verdauen (Mike macht da selbst hartgesottenen Rechten Konkurrenz), beschließen wir in den "Pfefferberg" zu gehen um noch einen Magenbitter zu trinken. Der "Pfefferberg" ist ein Jugendclub im Stadtteil Prenzlauer Berg. Die Entscheidung war richtig. Die ganze "revolutionäre 1.Mai"-Szene, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht gerade am Kottbusser Tor in Kreuzberg von der Polizei durch die Straßen hetzen ließ, war da. Haben wir die Revolution endlich gefunden? Es spielt die Punkgruppe "Dritte Wahl". Man merkt: Der Name ist Auftrag!

Leider sind die meisten schon so besoffen, daß sie keine Lust haben, sich mit uns über die Revolution zu unterhalten. Wir belauschen ein Punkpärchen: Sie fragt "Wie kommen wir eigentlich zurück ins Hotel?" Er antwortet "Ich ruf ’n Taxi."

Völlig desillusioniert von dem, was man so pathetisch "revolutionärer 1.Mai" nennt, trinken wir noch unseren Magenbitter und fahren nach Hause. Alwin, Mike und das Pärchen werden sicher von diesem spannenden Tag lange schwärmen…


 
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