© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Solidarität
Kolumne
von Andreas Mölzer

So um Frühlingsbeginn pflegen einmal jährlich von alters her Manifestanten in mehr oder weniger stattlicher Prozession aufzumarschieren, um "Solidarität mit den Werktätigen" einzufordern. Waren es früher streitbare Proletarier, die unter roten Fahnen mit gereckter linker Faust vor Otto Bauer, Karl Seitz und anderen vorbeimarschierten, so sind es in den letzten Jahren vom Typus her eher häufig schon in Pension befindliche Parteiaktivisten oder bloß von proletarischer Nostalgie befallene Kleinbürger, die vor ihren hochdotierten Parteioberen vorbeidefilieren. Letztere dürfen da einmal im Jahr solidarische Zuversicht ausstrahlen, wohlwissend, daß in unseren Tagen kaum etwas so schwierig geworden ist, wie die altgediente "Solidarität mit den Werktätigen",bzw. aus den Menschen überhaupt erst Werktätige zu machen.

Nun wissen wir alle, daß wir auf die Zwei-Drittel-Gesellschaft zutaumeln, daß man kaum mehr als 20 Prozent der einst im Produktionsprozeß beschäftigen Menschen für selbigen benötigt. Natürlich wissen wir, daß die gegenwärtigen Spitzenwerte in punkto Arbeitslosigkeit – wie viele Millionen in Deutschland, wie viele Hunderttausende in Österreich? – sich wohl noch weiter steigern werden. Ratlos sind wir aber – und da sind die Regierenden einzuschließen – wenn wir die Frage beantworten wollen, wie denn Solidarität, die alte Losung der heimischen Arbeiterbewegung gegenüber diesen "Veränderungsverlierern" auf dem Wege zur Zwei-Drittel-Gesellschaft in Hinkunft geübt werden soll.

Die von der Europäischen Union vor wenigen Jahren beschlossene Zielvorgabe, bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit in der EU um die Hälfte zu reduzieren, dürfte bereits heute als bloßes Wunschdenken zu betrachten sein. Dennoch sollten die politisch Handelnden es nicht als unausweichliches Faktum betrachten, daß da eben ein Drittel der Bevölkerung ohne Arbeit, ohne Perspektive, ohne Entwicklungsmöglichkeiten dahinvegetieren sollen. Nur das Ruhigstellen der Menschen durch panem et circenses, durch Medienspektakel und Befriedigung der Minimalbedürfnisse wäre zu wenig. Gelebte Solidarität könnte hier neue Perspektiven eröffnen. Das Anerkennen von gesellschaftlich überaus wichtigen Leistungen als Arbeit im engeren Sinne etwa: Die Kindererziehung der Mütter, die Landschaftspflege der Bauern, Gemeinschaftsarbeiten in Vereinen und diversen öffentlichen Organisationen. Solidarität wäre es aber auch, würde man allgemeinen Sozialjahres verpflichtend für alle jungen Bürger des Landes einführen.


 
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