© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
ÖGB: Von Olah zur Titanic
Kommentar
von Claudia Ebenberger

Nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges erlebte der ÖGB am 30. April 1945 – mit der Zustimmung der sowjetischen Besatzungsmacht – seine Geburtsstunde. Sozialdemokratische, christliche und kommunistische Gewerkschafter wurden unter dem Titel eines Österreichischen Gewerkschaftsbundes einheitlich zusammengefaßt. Nationalsozialistisches Einheitserbe ging nahtlos im ÖGB auf. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung legte von ihrem Gründungsdatum weg rasant zu. Bereits ein Jahr nach seiner Initiierung hatte der ÖGB eine Million Mitglieder. Heute hingegen wird der ÖGB oft nur mehr als "Selbstbedienungsladen" für Funktionäre gesehen. 1994 traten knapp 16.000 Arbeitnehmer aus der Gewerkschaft aus. Warum es keine neueren Daten gibt, läßt sich mehr als nur erahnen. Daran scheint auch der Erste-Mai-Aufmarsch nichts zu ändern.

Zwar läßt man seine Mitglieder Resolutionen unterschreiben und nennt den – alljährlichen morgendlichen "rund um den Ring und am Rathaus vorbei-Marsch" am Tag der Arbeit seit neuestem einen Protestmarsch. Aber selbst mit so klingenden Forderungen wie "Rassismus gefährdet ihre Gesundheit", "Statt Ausländerhetze mehr Arbeitsplätze" oder "Zusehen macht schuldig" lockt man heute den Österreicher an einem Feiertag nicht mehr aus seinem Bett heraus. Einige öffentlich Bedienstete werden sich wohl zu morgendlich-verschlafener Zeit per pedes durch die Bezirke quälen müssen – so wie es auch der Autorin seinerzeit als Krankenpflegeschülerin ergangen ist. Immerhin wurde der entgangene Morgenschlaf durch einen freien Tag extra ersetzt. Der ÖGB ist ja bekanntlich großzügig. Auch was die Mitgliedsbeiträge betrifft.

Umso leichter erkennbar erscheint der Grund des erhöhten Geldbedarfes. Daß aufgeblähte Organisationen Unsummen Geldes verschlingen, wird am Beispiel sämtlicher verstaatlichter Betriebe einschließlich der ÖBB deutlich demonstriert. Das Gesundheitswesen geht hier beispielhaft voran. Zehnprozentige jährliche Kostensteigerungen sind obligatorisch, und das Ende der Finanzierbarkeit ist in Sicht. Trotzdem wendet sich der ÖGB gerade in diesem Bereich gegen jede Strukturänderung und meint, sich damit "gegen Qualitätsabbau im Gesundheitswesen" wehren zu können. Daß Qualität nicht unbedingt mit Quantität zu tun haben muß – siehe Mitgliedsbeitrag – muß sich mancherorts erst herumsprechen. Die Freiheitlichen haben sich als Nachhilfelehrer bereits angeboten: Entweder, um die Staatslizenz-Gewerkschaft wieder auf die Arbeitnehmerseite zu bringen, oder um eine Alternative zum Unternehmen "Titanic" zu schaffen.

Claudia Ebenberger vertritt in der AUF die Sozial- und Pflegedienste und tritt ein für die Interessen qualifizierter, erwerbstätiger Frauen.


 
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