© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Lüneburg: Niedersachsen hat Schwierigkeiten mit Ostpreußens Erbe
Was ein Modellmuseum leistet
von Ronny Kabus (KK)

Die SPD-geführte niedersächsische Landesregierung hat den Beschluß, ihre Zuschüsse für das "Ostpreußischen Landesmuseum" in Lüneburg gänzlich zu streichen, korrigiert (die JF berichtete). Doch die immer noch geplanten Einschränkungen lassen die Zukunft der Einrichtung unsicher erscheinen. Museumsdirektor Dr. Ronny Kabus hat in der "Kulturpolitischen Korrespondenz" über Einzigartigkeit, Anliegen und Bedeutung des Museums berichtet. Wir drucken den Artikel leicht gekürzt nach.

Das 1987 in Lüneburg gegründete "Ostpreußische Landesmuseum" ist die modifizierte Fortsetzung einer langen Traditionslinie ostpreußischer Kulturpflege in Lüneburg, die in dem 1958 errichteten und ursprünglich vom Bund, Land und Stadt geförderten "Ostpreußischen Jagdmuseum" ihren Ursprung hat. Die bis heute erfolgende institutionelle Förderung des "Ostpreußischen Landesmuseums" durch den Bund (69 Prozent) und das Land Niedersachsen (31 Prozent) hat seine gesetzliche Grundlage im Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes.

An der Entwicklung des Landes Niedersachsen haben die Vertriebenen mit ihren Organisationen einen bis heute spürbaren Anteil. Der berühmte Wildpark "Lüneburger Heide" in Nindorf-Hanstedt wurde 1970 von dem Ostpreußen Friedrich von Krogh gegründet. Eines der berühmtesten Lüneburger Unternehmen ist die aus Preußisch-Eylau stammende Firma Anker. Einer der beliebtesten Oberbürgermeister Lüneburgs war der aus Elbing stammende Vertriebene Horst Nickel (Amtszeit 1962-1978). Der vor kurzem noch amtierende Landrat des Landkreises Lüneburg, ein SPD-Mitglied, stammt ebenso aus Ostpreußen wie eine Ratsfrau und ein Ratsherr des Rates der Stadt Lüneburg. Die SPD selbst würde bei einer Schließung des "Ostpreußischen Landesmuseums" ein wesentliches Stück eigener Identität in Niedersachsen und Deutschland verlieren. Einer der profiliertesten SPD-Politiker Niedersachsens war der vertriebene Schlesier Heinrich Albertz. Als niedersächsischer Minister für Flüchtlingsangelegenheiten orientierte er auch auf die Pflege der Kultur der Heimatvertriebenen.

Die vor 50 Jahren erfolgten "ethnischen Säuberungen" der jahrhundertealten deutschen Ostgebiete haben zum ethnischen Aussterben großer ostdeutscher Bevölkerungsteile geführt. Diesem Verlust würde ein weiterer, endgültiger hinzugefügt werden, wenn Niedersachsen seinen finanziellen Beitrag streicht. Ein Museum, dem man ein Drittel seiner Mittel entzieht, ist nicht mehr existenzfähig. Wer einen Eindruck davon haben möchte, welche verheerenden Zivilisationsschäden durch Kulturzerstörungen hervorgerufen werden, sollte sich im heutigen Kaliningrader Gebiet umschauen. Dort sind die Bewohner dabei, Geschichte und Kultur dieser Region wieder aufzuspüren und sichtbar zu machen.

In der Erkenntnis, daß das Kulturgut der Vertreibungsgebiete integraler Bestandteil des gesamten deutschen Kulturgutes ist, werden derzeit ein "Pommersches Landesmuseum" in Greifswald, ein "Landesmuseum Schlesien" in Görlitz und ein "Donauschwäbisches Zentralmuseum" in Ulm mit finanzieller Beteiligung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Baden-Württemberg gegründet. Das vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen unterstützte "Oberschlesische Landesmuseum" in Ratingen-Hösel wird zur Vergrößerung seiner Ausstellungsflächen gegenwärtig ausgebaut und vergrößert. Das als Modellmuseum fungierende "Ostpreußische Landesmuseum", dessen Grundeinrichtung im Jahr 1995 fertiggestellt wurde, würde durch den geplanten Mittelentzug Niedersachsens gleichzeitig seine Existenzgrundlage verlieren.

Die aktuelle Entwicklung in Europa macht deutlich, wie wichtig die Herstellung eines kontinuierlichen Dialogs mit unseren Nachbarn im Osten ist. Da Ostpreußen heute zu Polen, Rußland und Litauen gehört, pflegt das "Ostpreußische Landesmuseum" wie kaum eine vergleichbare Einrichtung die Zusammenarbeit mit Museen, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen dieser Länder. Der geplante Erweiterungsbau für das "Ostpreußische Landesmuseum" mit der Errichtung eines "Deutsch-Baltischen Museums" dehnt diese Zusammenarbeit auf die Länder Estland und Lettland aus. Das estnische Nationalmuseum Tartu/Dorpat, die Partnerstadt von Lüneburg, ist gegenwärtig dabei, die deutsch-baltischen Aspekte der eigenen Geschichte stärker in den Blickpunkt zu rücken. Zwei Vertreter dieses estnischen Nationalmuseums waren im "Ostpreußischen Landesmuseum", um auch im Hinblick auf den geplanten Anbau eines Deutsch-Baltischen Museums die Perspektive der Zusammenarbeit zu besprechen. Das "Ostpreußische

Landesmuseum" hat seit 1991 im ehemaligen Ostpreußen fast ein Dutzend Ausstellungen präsentiert udn ebensoviele Ausstellungen von polnischen, russischen und litauischen Museen empfangen. Die Bedeutung dieser völkerverbindenden Kulturarbeit ist durch Niedersachsen bisher stets anerkannt worden.


 
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