© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Gefesselt und geknebelt
Kommentar
von Bernd-Thomas Ramb

Wer kennt nicht die lobenden Sprüche vom "Handwerk mit dem goldenen Boden" und der "Tragenden Säule des Mittelstands". Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen haben nicht nur den Wirtschaftsaufschwung der Bundesrepublik maßgeblich beeinflußt, sondern auch traditionell das soziale Rückgrat der Marktwirtschaft gestärkt. In einem kleineren Betrieb werden nicht mehr so leistungsfähige Mitarbeiter eben nicht so mir nichts, dir nichts gefeuert, sondern mitgeschleppt – oft unter erheblichen finanziellen Einbußen der Unternehmensinhaber.

Die Schlagzeilen beherrschen jedoch die Großfirmen. Wenn dort in Zeiten flauer Konjunkturlagen die Alarmglocken läuten und der Ruf nach Subventionen laut erschallt, können einzelne Große eben – mit spektakulär hohen Entlassungszahlen drohend – heftiger lamentieren. Der zaghafte Hilferuf einer Vielzahl von kleinen Unternehmen, die in ihrer Gesamtsumme bei anstehenden Konkursen eine weitaus höhere Anzahl von Arbeitskräften entlassen müssen, verhallt hingegen auch im Chor kaum erhört. Dabei zeigen die Zahlen ein deutliches Bild. Über 15 Millionen Menschen sind in 2,5 Millionen Betrieben mit weniger als 100 Mitarbeitern pro Betrieb beschäftigt. Die weniger als 2.000 Großbetriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten pro Firma bieten dagegen nur 4 Millionen eine Erwerbsmöglichkeit. Zudem haben diese Betriebe in den letzten fünf Jahren ihre deutsche Belegschaft um 750.000 Stellen abgebaut – vielfach unter Verlagerung von Produktion und Beschäftigung in das Ausland. In den mittelständischen Unternehmen sind dagegen im gleichen Zeitraum allein in Westdeutschland fast eine Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden.

Diametral entgegengesetzt zu den unternehmerischen Erfolgen einerseits und den beschäftigungspolitischen Fehlleistungen andererseits positioniert sich das Verhalten des Staates. Kränkelnde Großunternehmen werden verhätschelt, derweil über die steigende Insolvenzwelle der mittelständischen Betriebe achselzuckend hinweggesehen wird. Anstatt die marktwirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzuerkennen – und dazu zählt nicht nur der bloße wirtschaftliche Erfolg bei hoher Beschäftigung, sondern auch die soziale Einstellung mit der Bereitschaft zur freiwilligen gemeinnützigen Umverteilung – versteift sich die Regierung zunehmend auf offene wie versteckte Industriepolitik zu gunsten der Großfirmen.

Perfide wird es, wenn sie diese Industriepolitik auch noch ideologisch verbrämt: Das ebenso anti-marktwirtschaftlich wie mittelstandsfeindlich ausgerichtete Maastricht-Wirtschaftssystem vermeint sie nur mit der Drohung verkaufen zu können, wer sich gegen diesen Systemwechsel stemme, sei Anti-Europäer. Und wieder wird der Mittelstand geknebelt.


 
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