© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Männer, Chrom und Pferdestärken: Zum zehntenmal jährt sich das Golf GTI-Treffen
Golfkrieger
von Ernst Fröhlich

"Gummi!" der kollektive Balzruf eines Rudels GTI-Fahrer hallt an den Gestaden des Wörthersees wider. Der so provozierte Artgenosse gehorcht seinem Stamm und dem Trieb seiner Gene: er tritt den Cowboy-Stiefel in das Pedal rechtsaußen und läßt die Kupplung schnalzen. Kreischend schält sich das Profil vom Reifen und "Gummi" bleibt am Asphalt dampfend kleben. Der dichte ätzende Rauch der dabei aufwirbelt benebelt die Zuseher, doch solange sich noch Kautschuk zwischen Felge und Straße befindet, wird auf die Tube gedrückt. Die johlende Menge stachelt den Piloten an und dieser weiß: er ist jetzt die Sonne, um die sich alles dreht, er darf nicht versagen. Flumm! – Endlich, die Reifen beginnen zu brennen! Tosender Applaus brandet durch den Qualm an das Cockpit des PS-intensivierten Spoilerhalters, ja so wollen das die Kollegen. In der Zwischenzeit läßt der Besitzer eines ordinären Golf II "von der Stange" – gegen die tiefergelegten Brüder macht sich sein Gefährt aus wie ein Golf Country – seinen Frust an einem Opel-Kadett aus, der hier überhaupt nicht hinpaßt. Durch den Geist aus der Flasche beschwingt, springt er auf das Dach, will dieses hüpfenderweise zu einer Sportversion umgestalten und als dies nicht fruchten will, erleichtert er sich enttäuscht auf der Motorhaube. Ein Polizist knöpft sich den "Besucher von einem anderen Golf-Club" vor. Daß er bei dieser Amtshandlung seinen Dienstwagen für die eine oder andere Minute ohne Risiko aus den Augen lassen kann liegt daran, daß es sich auch bei diesem um einen "Golf" handelt. Keine Frage, das Fahrzeug kann ja nichts dafür, daß es für den Staatsdienst "mißbraucht" wird. Seit nunmehr zehn Jahren treffen sich nun schon Golf-Fahrer aus halb Europa in Reifnitz, einem Touristenort am Wörthersee im schönen Kärnten, um ihre fahrbaren Statussymbole einem staunenden Volk zu präsentieren. Ursprünglich hatte das "GTI-Treffen" als Fremdenverkehrsbelebung der eher flauen Vorsaison große Zustimmung im Gemeinderat von Maria Wörth des Jahres 1986 erfahren. Eifrig posaunte man die gute Nachricht sogleich durch Europa. Anfangs schien man sich ein erträgliches Geschäft geangelt zu haben, doch bald zeigte sich die Kehrseite Medaille in Form von Lärm- und abgasbelästigung für die gesamte Wörtherseeregion. Als dann noch die neuen Bundesländer zu den alten kamen, nannte man das "Golf-GTI -Treffen" kurzerhand in "internationales Golf-Treffen" um und seine Popularität stieg weiter. Im Jahr 1995 war die Grenze des für Menschen erträglichen erreicht und das Golf-Treffen wurde von offizieller Seite verboten. Als 1996 keine Veränderung in der wachsenden Besucherzahl zu erkennen war, bemühte sich der Bürgermeister des Gemeinde-Hauptortes Maria Wörth um eine Verlegung des Treffens in seinen Ort, stolperte aber über den Gemeinderat, der nichts davon wissen wollte. Für das Treffen 1997 erhofften sich die Veranstalter einen Umsatz von 50 Millionen Schilling (zirka 7,15 Millionen Mark); für soviel Geld läßt sich schon einiges ertragen. Da rollen dann die Geschosse an; da geben sich verspielte Farben wie Erbsen-grellgrün, Orangeade-orange und Kristall-blau-metallic ein Stelldichein, da kriechen tiefergelegte Versionen echsenarig über die Unebenheiten der Wörthersee-Süduferstraße. Ob Spoiler oder nicht, bleibt dabei reine Geschmackssache; die Aufschrift auf der Heckscheibe ist hingegen Pflicht.

Mit Klebelettern stellen dabei viele ihre Phantasielosigkeit unter Beweis, indem sie aller Welt erzählen wollen, von welchem GTI-Stamm sie abgesandt wurden ("Golf-GTI-Club Wanne-Eickel"). Andere wiederum scheinen einer intellektuellen Kaste von Golf-Lenkern anzugehören, oder einer Art Bruderschaft. Denn sie verkünden ihre Botschaft "Carpe Diem" in gotischer Schrift.

Auch humorige Zeitgenossen befinden sich unter den Fahrern, die mit "Heizölpower"oder "Schluck, du Schelm" unter Beweis stellen, daß sie selbst auch ein wenig auf dem Kasten haben und nicht nur ihre Petroleum-Kutschen. Andere Wiederum sind echte Wörthersee-Partioten, wenn sie mit "Der See ruft!" zeigen, das Kärntens berühmtestes stehendes Gewässer zu einem Angelpunkt ihres Lebens geworden ist. Freilich gibt es auch Ausnahmen. Als ein Teilnehmer aus der Alpenrepublik – mit Verweis auf die an seiner Heckscheibe angebrachte Inschrift "Veni Vidi Vici"gefragt wird, was das das zu bedeuten hätte, lallt er: "Ich bin ein Ritter der Landstraße! Ich bin auf einem Kreuzzug." Daß er im Geschichtsunterricht gefehlt hat, quittiert eine gutbürgerliche, kopfschüttelnd seinen GTI betrachtende Anfangdreißigerin, mit "Schwanzprothese!".

Bei Beginn des Treffens herrschte Ausnahmezustand am Südufer des Wörthersees: Bei allen Ausfahrten von Reifnitz parken die Golfs mehrere Kilometer weit Stoßstange an Stoßstange, die regulären Buslinien wurden für vier

Tage eingestellt und im Verkehrsfunk hört man zu jeder Gelegenheit von "Verkehrsbehinderung wegen einer Auto-Veranstaltung". De facto bricht das Verkehrsnetz völlig zusammen und selbst Radfahrer warten in der selben Schlange wie die Golfs, weil kein Platz zum Ausweichen ist. In Reifnitz ist das Fahren zu dieser Zeit allerdings nicht ohne Reiz: "Golfer-Tussis" stellen ihre Büstenhalter zur Schau, indem sie sich kreischend aus den Seitenfenstern hängen, während ihre "Macker" gerade wieder einmal den Bleifuß zelebrieren. Stammesangehörige, die im Ausguck des Sonnendaches stehen, halten währenddessen Ausschau nach den Feinden vom Opel-Clan. Was das Wetter anbelangt, so hatten die Teilnehemer des Golf-Treffens bislang immer mehr Glück als Verstand. Auch diesmal beschien die Sonne vom 8. bis zum 11. Mai die Geschosse mit den blankpolierten Ölwannen.

Auch heuer stellten die Regenfälle wieder genau rechtzeitig zum Sonntag – dem Höhepunkt des Treffens – ihre Tätigkeit ein. Dabei haben doch alle ihr eigenes Dach überm Kopf mitgebracht. Manche von ihnen fahren sogar die ganze Nacht oder pennen im Auto, schließlich sind die meisten Gasthöfe schon im Vorjahr von Golf-Clubs angemietet worden, um ihren Mitgliedern eine weiche Bettsatt zu gewähren. Derweil brüllt schon wieder eine ekstatische Menge nach "Gummi" und das Kreischen der Reifen hallt über die stillen Wasser des nächtlichen Wörthersees…


 
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