© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Ostdeutschland: Bernhard Knapstein über Zukunftsperspektiven der Vertriebenenarbeit
"Es geht nicht nur um Ostpreußen"
Interview mit dem Vorsitzenden der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen
Fragen: Gerhard Quast

Herr Knapstein, bei den Vertriebenen stellt sich zunehmend die Generationsfrage. Sie sind Jahrgang 1967 und gehören zu den wenigen der jungen Generation, die sich noch in der Vertriebenenarbeit engagieren. Welche Bedeutung wird diese Arbeit zukünftig überhaupt noch spielen können?

KNAPSTEIN: Für die Landsmannschaften selber sehe ich die Zukunft natürlich nicht so rosig. Die biologische Lösung des Vertriebenenproblems schreitet voran und auch die Bekenntnisgeneration, die ebenfalls Opfer der Vertreibung ist, in dem Sinne, daß die Vertreibung ein völkerrechtswidriger Dauerzustand ist, ist mittelbar betroffen. Da sich aber viele nicht mehr zu den Gebieten im Osten bekennen, kann man in der Tat die Frage stellen, wie da die Zukunft aussieht. Die Junge Landsmannschaft Ostpreußen diskutiert darüber immer wieder. Es geht aber nicht allein um die Heimat im Osten, sondern es geht um den Umgang damit in der Bundesrepublik. Laut unserer Satzung haben wir verschiedene Aufgaben, die sich nicht alleine mit Ostpreußen auseinandersetzen, sondern sie gehen weit darüber hinaus. Wir verstehen uns auch nicht als die ostpreußische Jugend, sondern als die Jugend für Ostpreußen. Ostpreußen ist für uns ein Symbol für ein Tätigwerden in Deutschland auch gegen Politische Korrektheit.

Sie sagen, daß sich nur noch wenige in der jüngeren Generation zu Ostpreußen bekennen. Liegt das nicht auch daran, daß die Vertriebenen selbst es nicht ausreichend geschafft haben, ihren Kindern die Wichtigkeit ihres Anliegens zu vermitteln?

KNAPSTEIN: Das ist richtig. In der Tat ist es bei den Vertriebenen versäumt worden, die mittlere Generation so mit einzubinden, daß diese wiederum die Enkel der Vertriebenen in die Arbeit eingebunden und ein tatsächlicher Generationswechsel stattgefunden hätte. Das ist nicht der Fall. Das hängt auch damit zusammen, daß die Vertriebenen unmittelbar nach 1945/46 ihre Herkunft mehr oder weniger verleugnet haben, um nicht als arme Bettler dazustehen. Das ist ein relativ allgemeines Problem. Wir haben in unseren Reihen in der Tat Mitglieder, die hier wirklich nach dem Krieg in ärmlichsten Verhältnissen gelebt haben, weil sie eben nicht viel mitnehmen konnten. Zudem wurde auch dieses Leid der Flucht verdrängt. Und dieses Verdrängen ist natürlich an die mittlere Generation weitergegangen.

Aber die Arbeit der Vertriebenenverbände war doch zumindest auf dem kulturellen Sektor vielfältig. Liegt es nicht eher daran, daß die Vertriebenen nie so sehr politisiert waren, mit Ausnahme des Beharrens auf den Rechtsstandpunkt?

KNAPSTEIN: Das kann man den Ostpreußen nicht vorwerfen. Wenn Sie sich die Jugendorganisationen anschauen, werden Sie das erkennen. Bei der Schlesischen Jugend haben sie etwa 20.000 Mitglieder, die in kommunalen Kulturvereinen organisiert sind und ausschließlich Kulturpflege betreiben. Diese Beschränkung auf das Heimatgebiet gibt es bei den Jungen Ostpreußen nicht. Unser Anliegen geht weiter. In der neuen Ausgabe der JLO-Zeitung Fritz ist beispielsweise die Globalisierung das Hauptthema. Es geht nicht mehr nur um Ostpreußen. Ostpreußen ist Symbol; Symbol für eine Auseinandersetzung mit Deutschland und mit dem Ziel, ein besseres Deutschland zu erreichen. Ich kann auch nicht verleugnen, daß ich in dieser Hinsicht auch eine gewisse Affinität zur mitteldeutschen Linken habe, von der man viel lernen kann.

In welcher Hinsicht?

KNAPSTEIN: Natürlich erst einmal von der praktischen Politik der außerparlamentarischen Opposition gegen die träge Bürgerlichkeit der etablierten Parteien her. Aber sicherlich auch, was diesen revolutionären Charakter angeht. Ich muß zugeben, dazu habe ich eine gewisse Affinität. Ich halte mich hier in Leipzig durchaus auch in linken Lokalen auf und habe da keine Berührungsängste. Das ist etwas anderes als bei der normalen konservativen Jugend, wie beispielsweise der Jungen Union, wo mit 16 Jahren angefangen wird, Krawatte zu tragen und das Äußere dann die fehlenden inneren Werte häufig kaschiert. Bei Veranstaltungen marschieren Linke auf und Konservative ziehen sich mit der Bemerkung zurück, sie seien Intellektuelle und würden sich nicht schlagen. Wenn das die aktive Verteidigungshaltung der eigenen Ideale ist, dann, muß ich sagen, sollten wir wirklich mehr auf die Linken schauen und uns dort durchaus ein bißchen orientieren.

Verschwindet mit dem Abtreten der Erlebnisgeneration auch Schlesien, Pommern und Ostpreußen aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen?

KNAPSTEIN: Das versuchen wir ja auch zu verhindern, aber wir sind eben nicht mehr viele. Gerade bei den Jungen Ostpreußen sind wir etwas demonstrativer als die ältere Generation der Vertriebenen im allgemeinen. Wir treten nur selten in engen kleinen Veranstaltungsräumen, jenseits jeglicher Öffentlichkeit auf. Die Ostpreußen haben zudem noch das Ostpreußenblatt, das noch einen sehr starken öffentlichkeitswirksamen Charakter hat – aber Veranstaltungen finden in der Regel in geschlossener Gesellschaft statt. Von daher kann Ostdeutschland auch überhaupt nicht in das Bewußtsein der Öffentlichkeit dringen.

Hat das nicht auch damit zu tun, daß man nicht anecken will und die Erinnerungen daran nur noch für sich bewahren will?

KNAPSTEIN: Ich denke, die Landsmannschaften arbeiten einfach taktisch falsch. Wenn ich mir die Veranstaltungen des Bundes der Vertriebenen in irgendwelchen Kongreßzentren anschaue: Demonstrationscharakter hat das nicht. Wenn man sich dort in die eigenen Reihen zurückzieht, berichtet keine Tageszeitung darüber, geschweige denn irgendwelche elektronischen Medien.

Haben die Treffen eher Volksfestcharakter?

KNAPSTEIN: Volksfeste haben ja durchaus schon einen Öffentlichkeitswert. Wenn man sich hingegen in ein Messezentrum zurückzieht, dort die kräftigsten Reden schwingt, das Bekenntnis zur Heimat einschwört und danach nach Hause geht, hat das keinen öffentlichen Charakter.

Die Vertriebenen haben sich jahrelang bezüglich ihres Rechtsanspruchs auf die Unionsparteien verlassen. Letztendlich wurden sie aber immer wieder auch von der CDU/CSU vor den Kopf gestoßen, wie jüngst in Sachen Deutsch-tschechischer Erklärung.

KNAPSTEIN: Wenn Sie die einzelnen Vorstände des BdV anschauen, dann haben Sie dort überall auch CDU-Leute drinsitzen. Die Parteibücher schließen sozusagen eine Erneuerung aus. Da sehe ich ein Problem. Dies gilt gerade auch für parlamentarische Mandatsträger, die um einen Fraktionszwang in der Regel nicht herumkommen. Da muß ich den Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Herrn von Gottberg, Respekt bezeugen. Er hat zwar auch das CDU-Parteibuch, aber er läßt sich den Schneid nicht abkaufen. Bei den Ostpreußen ist wesentlich mehr möglich als in anderen Verbänden, aber generell muß ich sagen: Dadurch, daß die Parteibücher in den eigenen Reihen vorhanden sind, können sie auch keine Erneuerung erwarten. Und da gebe ich Ihnen recht, es ist geradezu pervers, wie die Vertriebenen immer wieder im Stich gelassen werden. Ich habe den Eindruck, viele Vertriebene merken das gar nicht. Meine Idee wäre gewesen – aber dafür ist es auch schon wieder zu spät – sich zusammenzuraufen und einfach mal eine Vertriebenenpartei aufzumachen. Leute dafür gibt es genug. Einziger Progammpunkt: Durchsetzung der eigenen Forderungen in der Öffentlichkeit.

Haben die Vertriebenen also ihre Chancen vertan?

KNAPSTEIN: Das wäre ja schon die Vergangenheitsform. Ich sehe immer noch Möglichkeiten, sich mehr in der Öffentlichkeit darzustellen und auch die Möglichkeit, das Problem der Vertreibung etwas stärker in der Öffentlichkeit bewußt zu machen, trotz der immer kleiner werdenden Reihen. Und ich habe da durchaus größere Hoffnungen, die jüngere Generation wieder ansprechen zu können, sonst könnte ich ja aufhören mit meinem Amt.

Also unabhängig von der direkten Beeinflussung durch die Union?

KNAPSTEIN: Unabhängig auch von der finanziellen Unterstützung. Die Vertriebenenverbände sind ja größtenteils angewiesen auf öffentliche Mittel. Und was macht die Bundesregierung? Aus dem Außenministerium geht ein Schreiben ans Finanzministerium, man möge doch mal prüfen, ob die Satzungen der Landsmannschaften noch förderungswürdig sind im Sinne der Gemeinnützigkeit und verweist in diesem Schreiben auf die Wiedervereinigungsklausel, die viele Landsmannschaften in ihren Satzungen hatten. Und es kommt, wie es kommen muß: Die Finanzbehörden stellen den Landsmannschaften, also auch den Ostpreußen, ein Ultimatum, die Satzung zu ändern, sonst werde man die Gemeinnützigkeit entziehen. Da können sie sich vorstellen, was an Körperschaftssteuer auf die Verbände zukommt. Es geht um Millionen. Dies hat wahrscheinlich Konsequenzen. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat sich aber auf der letzten Ostpreußischen Landesvertretung dazu durchgerungen, die Wiedervereinigungsklausel beizubehalten – komme, was da wolle. Diese Abstimmung, sich nicht anzupassen, die Wiedervereinigungsklausel in der Satzung zu lassen und auf die Gemeinnützigkeit schlicht zu verzichten, sollte sie aberkannt werden und gerichtlich nicht mehr durchsetzbar sein, kann ich nur begrüßen. Das ist ein Stück mehr Unabhängigkeit – auch geistig – für die Landsmannschaft.

Welche Bedeutung haben die bevorstehenden Pfingsttreffen der Landsmannschaften?

KNAPSTEIN: Das Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Ostpreußen in Düsseldorf wird das letzte Treffen in dieser Größenordnung sein. Wenn es aber nach mir ginge, dann würden sich alle Landsmannschaften im BdV auf einer einzigen Großveranstaltung treffen und einen derartigen Radau machen, daß es gar nicht mehr anders geht, als daß die Medien dem Spektakel Aufmerksamkeit schenken müssen. Letzten Endes haben diese Treffen die Funktion, die eigenen Reihen zu ermutigen, weiterzumachen. Aber ob wir den großen demonstrativen Charakter für die Öffentlichkeit in den Messehallen hinbekommen, da habe ich meine Zweifel.

Welche Form halten Sie für öffentlichkeitswirksamer?

KNAPSTEIN: Ich stelle mir das so vor wie Anfang der 80er Jahre die Friedensdemonstration in Bonn, als 300.000 Leute den Regierungssitz belagerten. So ähnlich müßte man das auch bei den Vertriebenen durchziehen. Das Problem ist aber, daß sie es bei den Vertriebenen nicht gerade mit jungen Menschen zu tun haben. Ob diese sich überhaupt zu einer solchen Aktion hinbewegen werden, ist eine Frage. Wenn sie diesen nicht Bänke und Tische anbieten können, dann wird es schwierig. Aber eine solche Aktion hielte ich für gut.

Ist es denkbar, daß die einzelnen Landsmannschaften in Zukunft an einem Strang ziehen?

KNAPSTEIN: Ja, das bringt die Zukunft ganz von alleine. Dadurch, daß sich die Reihen lichten, werden die Landsmannschaften zusammenrücken müssen. Das zeichnet sich jetzt schon bei den West- und Ostpreußen ab und wenn Sie mal die Vertriebenenblätter berücksichtigen, ist meines Erachtens das Ostpreußenblatt auf die Zukunft gesehen das einzige große Vertriebenenblatt, das Perspektiven hat. Erstens ist in dieser Wochenzeitung sehr viel allgemeine Politik enthalten und zweitens vertreten wir nicht nur die Ostpreußen, sondern auch die anderen Verbände, soweit möglich. Bei den meisten Verbänden gibt es ja nur noch Vereinsblätter, aber als erstzunehmende Zeitung fällt mir tatsächlich nur das Ostpreußenblatt ein. Ich sehe ein Zusammenrücken kommen.

Was ist für Sie das wichtigste Anliegen?

KNAPSTEIN: Die Durchsetzung des Völkerrechtes und der Menschenrechte. Wenn die durchgesetzt sind, dann haben die Vertriebenen kein Problem mehr, dann sind sie keine Vertriebenen mehr. Eine europäische Lösung mag zwar eine Möglichkeit sein, sie stellt mich persönlich aber nicht zufrieden und die JLO auch nicht. Wir hätten dann zwar die Möglichkeit, Grundstücke kaufen zu können, aber das ist es nicht. Das ist nicht die Durchsetzung des Völkerrechts. Völkerrecht bedeutet, daß besiedlungsfähiges Land – beispielsweise in Südostpreußen und Masuren, wo viel Land brach liegt – zurückgegeben wird und man an einer gemeinsamen Zukunft baut. Und das ist in Ostpreußen möglich. Es ist ja nicht so, als seien da alle Höfe bewohnt und bewirtschaftet. Ziel ist auch weiterhin die Wiedervereinigung mit Ostpreußen. Das entspricht durchaus der KSZE-Schlußakte. In der Schlußakte ist enthalten, daß die Grenzen im Wege des friedlichen Übereinkommens geändert werden können. Wenn die Bundesregierung sagt, daß das aus völkerrechtlichen Gründen nicht möglich ist, dann ist das blanker Unsinn. Deshalb bleibt die Wiedervereinigung mit Ostpreußen weiterhin ein Ziel der Landsmannschaft, was legitim und alles andere als "nicht verfassungskonform" ist.

Bernhard Knapstein, Bundesvorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO), wurde 1967 in Köln geboren und studierte dort nach dem Abitur 1987 Sport und Geschichtswissenschaften. 1990 nahm er das Studium der Rechtswissenschaften auf und legte 1996 sein Erstes juristisches Staatsexamen ab. Er ist Rechtsreferendar in Leipzig.
Als SPD-Mitglied war er im Rheinland bis zu seinem Ausschluß politisch aktiv im Hofgeismarer Kreis. 1995 wurde er Mitglied im Landesvorstand des Bundes der Vertriebenen Nordrhein-Westfalen und zum Bundesvorsitzenden der JLO gewählt.

Kontakt: Junge Landsmannschaft Ostpreußen, Parkallee 86, 20144 Hamburg


 
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