© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Haushaltsloch: Wegen Maastricht sollen Goldreserven geplündert werden
Kreativer Ausverkauf
von Bernd-Thomas Ramb

Sie kam nicht überraschend, auch nicht in der Höhe von 18 Milliarden DM, die Korrektur der zu erwarteten Steuereinnahmen nach unten. Für das nächste Jahr ist sogar mit 32 Milliarden Einnahmenverlust zu rechnen. Schon die optimistische Schätzung vor sechs Monaten, die von der blauäugigen Illusion eines Wirtschaftsaufschwungs auf breiter Front zehrte, hat nicht nur bei den Fachleuten Kopfschütteln hervorgerufen. Auch Kohl kann keine Konjunktur verordnen.

Dabei formt der Verlust an Steuereinnahmen nur die eine Hälfte des Haushaltslochs. Auf der anderen Seite vertiefen die nicht abwendbaren Ausgabensteigerungen, allein wegen der hohen Arbeitslosigkeit, das Elend der Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden. Und neben der absoluten Erhöhung der Staatsdefizite schießt noch heftiger die relative Verschuldung in die Höhe, die das Haushaltsloch in das Verhältnis zum geringer werdenden Bruttoinlandsprodukt setzt.

Was tun? Nahezu bösartig erscheint Waigels Idee, kurzerhand einige Hundertmillionen Telekom-Aktien zu verkaufen. Die dazu erforderlichen Gesetzesänderungen könnte die Regierungskoalition zwar bewerkstelligen, das gerade mühsam erweckte Vertrauen der Bürger in die Anlage- und Alterssicherungform Aktie wäre aber nachhaltig gestört. Auch die Plünderung des Bundesbank-Goldschatzes bedarf der gesetzlichen Heilung. Mit der staatlich erzwungenen Höherbewertung von 95 Millionen Feinunzen Gold läßt sich zwar der an den Bundeshaushalt abzuführende Bundesbankgewinn heraufschaukeln – durch eine zusätzlich gesetzlich erzwungene Zwischenbilanz sogar noch in diesem Jahr. Was aber macht die nachfolgende Bundesregierung, wenn der Goldpreis einmal nach unten revidiert werden muß?

Gänzlich konzeptionslos sind Waigels Steuererhöhungs- und Steuerverminderungsvermeidungspläne. Eine vorzeitige Erhöhung der Mehrwertsteuer bricht ebenso wie eine hastige Mineralölsteuererhöhung jedem Anzeichen von Konjunkturfrühling vollends die Knospe ab. Die entwaffnende Erklärung, damit der FDP eine Rücknahme der Zusage zur Senkung des Solidarzuschlags abzwingen zu wollen, kennzeichnet zwar trefflich den Stellenwert des Koalitionspartners FDP, ist aber unverständlich. Wie soll die im nächsten Jahr nicht erfolgende Senkung des Soli zu diesjährigen Steuermehreinnahmen führen?

Wohin sich Kohl und Waigel auch wenden, überall lauert der Moloch Maastricht. Eine Einhaltung der Schuldenkriterien – bislang verbindliche Aufnahmeprüfung zur Teilnahme am Euro-Währungsabenteuer – ist in diesem Jahr mit seriösen Mitteln nicht mehr zu erreichen. Waigels Verhalten ähnelt dem eines Pennälers, der nach einer Reihe von Fünfen und Sechsen darauf wartet, daß ihm der Himmel in der letzten Klassenarbeit vor der Zeugniskonferenz noch eine Eins beschert, die gerade zur Versetzung langen möchte.


 
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