© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Kirche im Dorf: Protestantismus und Dittes Lager
Hier irrt Frau Knoll
Meinungsbeitrag
von Andreas Mölzer

Österreichs evangelische Kirche lasse sich kein "blaues Mascherl" umhängen. Man wolle sich vor einer Bewegung, die einem ständig das Wort im Mund umdreht nicht vereinnahmen lassen, grollte die Oberin der pannonischen Protestanten. Sie habe nicht gesagt, die evangelische Kirche richte sich vorwiegend an "Linke". Sie habe bloß eine Untersuchung zitiert, wonach Österreichs Protestanten ein wenig "linker" stünden als die übrige Bevölkerung.

Nun steht die übrige Bevölkerung, schon gar nicht die SPÖ-Wähler, längst nicht mehr besonders links und die "linkeren" Protestanten daher immer noch weitgehend rechts. Dennoch hat Frau Knoll, Superintendentin ihres Zeichens, selbstredend recht: Wo kämen wir denn da hin, wenn jede x-beliebige politische Partei die Kirchen dieses Landes so mir-nichts-dir-nichts einvernahmen könnte. Wenn sie aber meinte, man könne keinesfalls behaupten, daß das freiheitliche Lager zum rot-weiß-roten Protestantismus irgendeine Nahbeziehung habe, irrt Frau Knoll – und das gründlich.

Betrachten wir einmal die Weide für die Lämmer unserer streitbaren Hirtin, das liebliche Burgenland: Als ehemaliges "Deutsch-Westungarn" kam es vor gut einem dreiviertel Jahrhundert zu Österreich und dreimal darf man raten, wer die treibende und dominante politische Kraft im Zuge der damaligen Auseinandersetzung vor der Volksabstimmung und dann in den Jahren der Eingliederung des Landes in die junge Republik Österreich war – die "Großdeutsche Volkspartei" und der "Landbund". Böse, böse national-liberale Vorläufer der heutigen Freiheitlichen. Das relativ stark protestantisch geprägte Burgenland wählte national-liberal.

Oder gehen wir in die engere Heimat des protestantischen Landesbischofs Sturm, der – welch seltener Zufall – den schönen deutschen Vornamen Herwig trägt: Villach und das Oberkärntner Umland. Wer jemals auf dem Marktplatz der Gemeinde Arriach hoch oben am Wöllaner Nock vor der Statue Josephs II., einst "der Deutsche" genannt, stand und weiß, daß dieser gesegnete Flecken fast 40 Jahre in der Zweiten Republik einen freiheitlichen Bürgermeister hatte, ahnt, welcher Gesinnungsgemeinschaft ein großer Teil dieser Oberkärntner Protestanten zuzuordnen ist.

Die Gegenreformation trieb den Kärntner Protestantismus in die Rückzugsgebiete der Gebirgstäler. Die Eisenreiter Karls von Innerösterreich zwangen die Lutheraner ins Gebirge, etwa auf die Flanke der Gerlitzen, wo sie am "Deutschberg" seitdem siedeln. Die deutsche Lutherbibel und nach dem Toleranzedikt Josephs, der eine oder andere Pastor aus Baden-Württemberg oder dem Sächsischen haben diese Menschen im vorigen Jahrhundert dem deutschnationalen Lager verbunden. Die Opposition gegen die katholische Obrigkeit, das Mißtrauen gegen Thron und Altar und die lutherische "Freiheit des Christenmenschen" haben diese Protestanten überdies dem freisinnigen Lager nahegebracht. Kernwählerbereiche der national-liberalen Parteien der Monarchie finden sich in den Landstrichen des vormaligen Krypto-Protestantismus, in Oberkärnten, im Ennstal, der Ramsau, in Oberösterreich und Salzburg. Naturgemäß waren diese Menschen vor den Irrwegen unseres Jahrhunderts nicht gefeit. Ob das die Frau Knoll freut oder nicht, ein guter Teil der Wähler dieser protestantischen Religion driftete in den 30er Jahren in den illegalen Nationalsozialismus ab. In Wien war der "Juliputsch" des Jahres 1934 durch die SS mehr oder weniger nur ein versuchter, wenn auch mit dem Tod des Kanzlers endender Staatsstreich. In jenen Bundesländern, in denen es diese starken protestantischen und nationalen Gegenden gab, war es für einige Tage ein wahrer Volksaufstand.

Die Analyse der Wahlergebnisse von der Monarchie, über die 20er Jahre bis herauf in die Zweite Republik ergeben eine Kontinuität in diesen stark protestantischen Gebieten: Vor dem Zweiten Weltkrieg war es die NSDAP und ab 1949 war es der VdU und später die FPÖ, die hier – wenn nicht die stärkste Gruppe – so doch eine wesentlich stärkere als im übrigen Österreich stellten. Natürlich hat dies keine theologischen Gründe. Unzweifelhaft aber ist liberaler Freisinn, der hier einer der Traditionsstränge des national-liberalen Lagers darstellt, in Österreich eher von protestantischen Bereichen getragen worden als von katholisch-klerikalen. Und zweifelsohne haben deutschnationale Strömungen sich weit eher zum Begründer des "deutschen Christentums" hingezogen gefühlt als zum ultramontanen und slawophilen Katholizismus der Habsburgermonarchie.

Man kann dies nun als nüchternes historisches Faktum nehmen, man kann es auch als historische Hypothek betrachten. Nur leugnen wird man es schwerlich können.

Ebenfalls nicht leugnen kann man, daß die Protestanten in diesem Jahrhundert nicht nur in Österreich, sondern auch im großen Deutschland einen gewissen Hang zur Anbiederung an den jeweiligen Zeitgeist hatten. Ob dies nun der antidemokratische Zeitgeist der Zwischenkriegszeit war oder der ach so demokratische dieser Tage, macht da wenig Unterschied. Damals hofierte man den "Führer" – heute die linke Schickeria.


 
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