© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Botho Strauß: Fern von Berlin werden seine Berlin-Bilder trübe
Uckermärkischer Eichenbühel
von Thosten Hinz

Im Sommer 1989 erschienen in der DDR von Botho Strauß in einem Band "Paare Passanten" und "Niemand anderes". Damals explodierten die Flüchtlingszahlen, die Behörden waren nervös, in Leipzig sah man martialische Aufmärsche der Polizei gegen die Montagsdemonstranten. Es herrschte Endzeitstimmung. Man wußte nur nicht, ob das in einer Implosion aus Erschöpfung oder einem Blutbad enden würde. Die Unsicherheit machte Angst.

Bei Botho Strauß las man nun, was – günstigenfalls – irgendwann über einen kommen würde: Die Wohlstands-, die "Info"-, die Diskursgesellschaft, die Medien- und Kulturindustrie kannte man nur – oder: immerhin – vermittelt. Nicht bloß aus den Medien; Huxleys "Schöne neue Welt" war ein paar Jahre zuvor herausgekommen, Marcuses "Eindimensionaler Mensch" war in der Deutschen Bücherei in Leipzig erhältlich, und ein amerikanischer Freund hatte Neil Postmans "Wir amüsieren uns zu Tode" mitgebracht. Doch erst beim Lesen von "Paare Passanten" erhielten Vokabeln wie "virtuelle Realität", "Simulation", "Zeitalter des Showbusiness" und "der Mensch am Ende der Moderne", der sich in konsequenzlosen "Weltbild-Duellen" ergeht, Evidenz und Plastizität. Sätze wie: "Es gibt kein gemeinsames Erinnern", oder: "Der Überdruß ist der absolute Souverän unserer Kultur" wurden dick unterstrichen. Selten war Lektüre so intensiv. Noch Jahre später, wenn einem auf dem Ku’damm die Verbraucherscharen mit Einkaufstaschen trancehaft entgegenfluteten, stöhnte man halb amüsiert mit Strauß: "Verfluchte Passanten-Welt!" Acht Jahre später beschreibt Strauß im Buch "Die Fehler des Kopisten" seinen Umzug von Berlin in die Uckermark als Sezession von ihr; andererseits erscheinen vorab – marktstrategisch geschickt – im Spiegel Exklusivauszüge. Zunächst schildert Strauß die Landschaft nordöstlich von Berlin und sein Haus auf dem "Bühel": Ein hohes, aber falsches Wort für den norddeutschen "Hügel", das der Uckermärker nur aus dem Märchen "Das kalte Herz" des süddeutschen Romantikers Wilhelm Hauff kennt. Hauff ließ den Kohlenmunk-Peter das Glasmännlein auf dem "Tannenbühel" treffen. Kein Originaleindruck, sondern kalkulierter Effekt also, der die altbekannte Ästhetisierung des Ländlichen als Gegenentwurf zur "häßlichen" Moderne signalisiert.

"Was bleibt zu hoffen für eine Zeit, die von Hohn auf Schönheit gezeichnet ist?", klagte auch Christa Wolf im "Sommerstück" (1989), das ebenfalls den Rückzug auf’s Land thematisierte. Die großen Weltentwürfe waren schon verbraucht. Bald brach der Utopie-Staat zusammen, und Christa Wolf gab es nach dieser existentiellen Erfahrung endgültig auf, sich an ihnen abzuarbeiten. Umgekehrt dazu versucht der skeptische Botho Strauß jetzt erklärtermaßen, die Gegenwart von einem "imaginären extrademokratischen point of view" aus den Angeln zu heben. Im Ergebnis erscheinen seine früher scharfgestochenen und dadurch hintergründigen Beobachtungen namentlich in den Berlin-Notaten vom verfolgten Zweck eingetrübt, durchkalkuliert, ja eindimensional.

Den Theateraufführungen mit Edith Clever folge "die Verdammung auf dem Fuß", schreibt er, um die allgemeine Abneigung gegen das "Metaphysische" in der Kunst zu beweisen. Falsch! Die "Medea"-Aufführung an der Berliner Schaubühne – Regie und Hauptrolle: Edith Clever – war ein Riesenerfolg. Die märkischen Eichen und Walnußbäume rauschten "verständigter" (?) als die Nachtschwärmer in Berlins Hackeschen Höfen? – Ein inhaltsleeres Versatzstück. Wer über den von Altbauten gesäumten, belebten Kollwitz-Platz nur zu sagen weiß, daß hier "die Häßlichkeit der DDR-Relikte … mit den Haßparolen der Autonomen Szene" fusioniert, stellt seine aktuelle Kompetenz als Flaneur in Frage. Der Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Helmut Böttiger, hat in seinem Buch "Ostzeit Westzeit" ( JF 47/96) viel aktuellere, genauere Milieubeobachtungen mitgeteilt – wie Strauß in "Paare Passanten" – und die Interieurs der Restaurants und Kneipen als Abbreviaturen des gegenwärtigen sozialen und kulturellen Lebens entziffert, dem im übrigen – da sagt Strauß nichts Exklusives mehr – die "Resignation des Wissenden" eingeschrieben ist. Worin also bestünde dann das Besondere des "Kopisten"? Im Ruf etwa nach der "ästhetischen Passion der umfassenden Erneuerung, auch wenn dies alles lächerlich, ja tödlich enden wird"? – Ob er schon mal richtige Angst vor einem richtigen Blutbad haben mußte? Derlei – das Wort ist fällig – Geraune hat Vorläufer etwa in den pompösen lyrischen Phantasien Stefan Georges über die Errettung der Welt. Doch auch die ließen keine wirkliche Zukunftsvision, sondern das Bild eines von einer hohen Mauer umgebenen Gartens entstehen, für dessen Tor einzig der Dichter den Schlüssel besaß. Er gewährte niemand Einlaß und Einblick, versicherte aber inständig, dahinter befände sich der "Heilige Hain". Besser halte man sich an einen 1989 gekennzeichneten Satz von Botho Strauß: "So ausweglos kann nur ein Gedankengang sein, niemals das offene Leben."


 
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