© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Lutz Rathenow, die PDS und der "Rheinische Merkur"
Schließmuskelschwächen
Doris Neujahr

Ex-Bürgerrechtler haben es schwer. Auf den Altmarxisten Wolfgang Harich, der ihnen 1989 empfohlen hatte, noch vor der CDU die deutsche Einheit zu fordern, wollten sie nicht hören. Doch die Einheit kam trotzdem und nahm ihnen ihr Bezugssystem. Im Diskursgestrüpp der real existierenden Bundesrepublik verheddern sie sich. Und wenn sie sich freischaffend im Dichterberuf versuchen, klingt das Ergebnis wie weiland ein Beitrag für den Poetenwettbewerb der FDJ: "Die Spitzel tanzen / auf der Disco und quälen sich / gewagte Verse ab. Himmel & Hölle / proben die friedliche Koexistenz / Das Kind im Pubertanten zögert, / In die Vernunft hineinzuwachsen". Die Verse von Lutz Rathenow, den nur noch die Konrad-Adenauer-Stiftung für einen Schriftsteller hält, leiden daran, daß keine Stasi-Spitzel mehr da sind, die sie zur staatsfeindlich-subversiven Konterbande erklären. Auch das avantgardistische "&" rettet nichts mehr! Publizistische Schließmuskelschwäche, sagte Boris Pasternak dazu. Ja, selig waren die Zeiten, als überall Stalinisten die Macht hatten und als, wer schreibend wider ihren Stachel löckte, zum neuen Heine emporgestemmt wurde. Da wird man glatt zum DDR-Nostalgiker!

Hilfestellung auf Gegenseitigkeit leistet dabei die PDS, die sich ihre DDR ebenfalls nicht nehmen läßt und den Klassenkampf unter neuen Bedingungen fortsetzt. Sie hat Rathenow, der von der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung zu einer Lesung eingeladen worden war, wegen seiner Publikationen in "gefährlich rechts" angesiedelten Zeitschriften mittels einer Kleinen Anfrage attackiert. Gemein! Wo doch jeder weiß, daß er längst nicht mehr, um sich als Freigeist herauszustellen, mit den "Rechten" – wer immer das sein soll – flirtet. Andererseits nützt ihm die PDS-Agitation natürlich, denn sonst wären Lesung und Artikel wegen Belanglosigkeit unbemerkt geblieben. Jetzt kann er wieder auf seinem Opferstatus abfahren: Habet acht, ich werde verfolgt! Und die PDS kann ihrem alternden Anhang signalisieren: Trotz alledem, wir kriegen sie alle!

Die provinzielle Beziehungskiste würde niemanden mehr aufregen, wenn es nicht noch den Rheinischen Merkur gäbe, der Rathenow für sein Lamento über die fortgesetzte Verfolgung durch Stalins Nachfahren die Spalten öffnet. Dieses Zentralorgan gemütvoller Breitärschigkeit rückt seit 1989 immer mehr an die Peripherie und hat daher ebenfalls Grund, der DDR nachzutrauern. Vor drei Monaten versuchte der Rheinische Merkur, mit einer Plakataktion in Berlin zu reüssieren. Das "Timing" war dumm: "Hart bleiben, Kanzler!", lautete damals die Schlagzeile auf der ersten Seite, und daneben beklagte ein Kommentar den Verlust von Ehre und Sittlichkeit in Deutschland. Und das angesichts der desaströsen Beliebtheitskurve von Kohl und des allgemeinen Sodom und Gomorrhas in der Hauptstadt! So kann man danebenliegen, wenn man sich auf ein Gebiet begibt, von dem man keine Ahnung hat. Als Alibi-Clown wird schlußendlich ein Ex-Bürgerrechtler serviert, der zwar auch nichts beizutragen weiß, aber wenigstens von der PDS verfolgt wird. So nützt und stützt die Triade der DDR-Nostalgiker sich gegenseitig.


 
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