© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
James Breslin: Mark Rothko
Mythos der Moderne
Rezension
von Michael Wiesberg

Mit seinem Werk über Mark Rothko, einen der bedeutensten Künstler der USA in diesem Jahrhundert, zeichnet der US-amerikanische Anglist James Breslin die Vita eines Mannes, der sein Leben voll und ganz der Kunst widmete. Er schlägt den Bogen von Rothkos russischer Geburtsstadt Dvinsk, wo er als Kind von Jacob und Anna Goldin Rothkowitz 1903 geboren wird, bis zu seinem Freitod im Jahre 1970. Rothkos Geburtsname lautet Marcus Rothkowitz, erst ab 1940 wird er sich Mark Rothko nennen. Sein Vater gehörte jener Generation von russisch-jüdischen Intellektuellen an, die – so der Autor – "die weltliche Erziehung und politisches Engagement einer religiösen Begeisterung vorzogen". Judenfeindschaft soll die Kindheit in Dvinsk – so Rothko später – bis zur Auswanderung in die USA im Jahre 1913 bestimmt haben. Des öfteren wird Rothko später folgende Geschichte erzählen: Kosaken sollen die Juden aus den Dörfern um Dvinsk entführt haben und ihnen in den Wäldern befohlen haben, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Rothko wurde nicht müde zu behaupten, sich an eine solche quadratische Grube erinnern zu können, ja das Massaker selbst mit angesehen zu haben.

Lapidar stellt der Autor dazu fest, daß es in Dvinsk keine Pogrome gegeben habe, so daß Rothko niemals Zeuge eines derartigen Vorfalls gewesen sein konnte. Der Autor zitiert in diesem Zusammenhang einen guten Freund Rothkos, Herbert Ferber, der Geschichten wie die obige als "erfunden aus Gründen der Dramatisierung der eigenen Person" einstufte. Breslin: "Er gehörte eben zu einer stigmatisierten Gruppe". Augenscheinlich gehöre es zu den Charakteristika "stigmatisierter Gruppen", die Wahrheit nach eigenem Gutdünken umzuschreiben, um die "Opferrolle" entsprechend dramatisch und überzeugend ausgestalten zu können.

1910 wandert Rothkos Vater in die USA aus und läßt sich in Portland (Oregon) nieder. Der Sohn folgt mit seiner Mutter und seiner Schwester drei Jahre später. Ab 1914 muß Anna Rothkowitz aufgrund des Todes ihres Ehemannes die Kinder alleine aufziehen. Rothko besucht die Yale-Universität, wendet sich ab 1924 der Malerei zu und studiert schließlich an der Art Students League bei Max Weber, dessen Bedeutung für die ersten künstlerischen Gehversuche Rothkos nicht überschätzt werden kann. Die nächsten beiden Jahrzehnte werden von massiver wirtschaftlicher Not geprägt sein, die Rothko nur dank der Lebenstüchtigkeit seiner ersten Ehefrau Edith Sachar übersteht. Ab 1941 beginnt er sich auf mythische Bilder und Inhalte zu konzentrieren, die schließlich hinter undeutlichen rechteckigen Farbflächen zurücktreten, die sich etwa um 1949/50 in jene rechteckigen Felder verwandeln, die Rothkos Ruhm bis heute begründen. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Lektüre von Nietzsches "Die Geburt der Tragödie".

In den fünfziger und sechziger Jahren schuf Rothko leuchtende Farbflächen, die sich durch eine überwältigende Lichthaftigkeit – die Metapher für das geistige schlechthin – auszeichneten. In der letzten Phase seines Schaffens überwiegen schwarz-graue Arbeiten, die in gewisser Weise mit den ständig depressiven Stimmungen Rothkos, der am 25. Februar 1970 Selbstmord verübte, korrespondieren. Breslin ist es in seinem Opus über Rothko in der Tat gelungen, eine "detaillierte Beschreibung" des Künstlers abzuliefern. Schnitzer treten aber immer dann zutage, wenn er auf den zeitgeschichtlichen Rahmen Rothkos zu sprechen kommt. Ein Beispiel ist sein Kommentar zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von August 1939. Diesen sollen "radikale Russen" mit "deutschen Faschisten" geschlossen haben. Was – bitteschön – bedeuten in diesem Zusammenhang "radikale Russen"? Da paßt es ins Bild, wenn der Beginn des Barbarossa-Unternehmens auf den 22. Juni 1940 datiert wird.

Interessant allerdings ist folgende Einlassung: Die amerikanische Propaganda, so unser Autor, sah den Krieg gegen die Achsenmächte als "einen Kampf zwischen der Barbarei und der Zivilisation" an. "Moderne und Demokratie wurden als eins gesehen" – und die USA als Hüterin dieser Demokratie. Der Kunst kam in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, "Mitbewahrerin demokratischer Prinzipien zu sein – während in Polen Kinder von Hitlers Bomben hingeschlachtet wurden". Augenscheinlich wurden diese demokratischen Prinzipien beim Bombenkrieg gegen deutsche und japanische Städte gegenstandslos, fielen die "demokratischen" Bomben doch "Barbaren" auf den Kopf…

Wer nur über den Menschen und Künstler Mark Rothko informiert werden will, wird das vorliegende Buch mit Gewinn lesen. Sobald aber dieser Rahmen verlassen wird, glänzt Breslins Werk durch zum Teil abenteuerliche Allerweltsweisheiten, über die man besser ganz schnell hinwegliest.

James E. Breslin: Mark Rothko. Ritter-Verlag, Klagenfurt 1995, 653 Seiten, geb., 79 Mark


 
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