© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Marktwirtschaft: Organisierter Tauschhandel
Alternative Ökonomie
von Detlev Rose

Ob Babysitting, kleinere Reparaturen im Haushalt, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen, Putzen, Hemdenbügeln oder kluger Rat bei Computerproblemen: Für die vielen kleinen Dienstleistungen des Alltags gibt es einen enormen Bedarf, doch in vielen Fällen ist dieser "Service" leider immer noch ein teuer zu bezahlender Luxus. Hier setzt die Idee der "Tauschringe" an, die mittlerweile einen regelrechten Boom erlebt. Karl Birkhölzer hält Tauschringe für eine Idee, deren Zeit gekommen ist: "Die Lohnarbeit geht uns aus, nicht die Arbeit. Auf der einen Seite haben wir viele Menschen, die keine Arbeit haben – also überflüssige Arbeitskraft – und auf der anderen Seite haben wir eine Menge notwendiger Güter und Dienstleistungen, die nicht erbracht oder nicht getan werden. Und für diese Lücke ist ein Tauschring ein sehr pragmatisches Instrument."

Rund 130 Tauschringe in Deutschland, davon 12 in Berlin, sind daran gegangen, diese Lücke aufzufüllen. Sie praktizieren eine "Neben-Ökonomie", in der Geld keine Rolle mehr spielt. Ohne Moos geht’s los: Bei den Tauschringen heißt es nicht "Leistung gegen Geld", sondern "Leistung gegen Leistung". Das Prinzip basiert auf der Vorstellung, daß jeder Mensch Fähigkeiten und Talente zu bieten hat, die von anderen nachgefragt werden. Dienste, zum Teil auch Waren werden nicht bezahlt, sondern auf Tauschkonten mit einer fiktiven Währung verrechnet.

So werden zum Beispiel auf den Konten der 300 Mitglieder des Kreuzberger Tauschrings "Kreuzer" verbucht. "Wir empfehlen, pro Arbeitsstunde 20 Kreuzer anzusetzen", erläutert Stefan Purwin, einer der Initiatoren, "aber natürlich kann das zwischen den Tauschenden frei ausgehandelt werden." Und so funktioniert es: Peter repariert in zwei Stunden Klaras Fahrrad, dafür bekommt er auf seinem Konto 40 Kreuzer gutgeschrieben, bei Klara werden 40 Kreuzer abgezogen. Thomas hilft Peter beim Ausfüllen seiner Steuererklärung, wieder wechseln 40 Kreuzer die Konten. Bei Thomas haben sich am Sonntag die Eltern zum Kaffee angesagt, und was gibt es da Schöneres als Klaras berühmte Mandarinencremetorte. Für 40 Kreuzer kein Problem. Die Mitglieder kommunizieren über die Monatszeitung "Straßenkreuzer", in der sie kostenlose Angebots- und Suchanzeigen aufgeben können, oder lernen sich persönlich beim monatlichen "Tausch-Rausch" kennen, einer Art Flohmarkt mit Kulturprogramm. Für jedes Tauschgeschäft wird eine Mitteilung an die Zentrale eingereicht, die die Konten führt. Die Mitglieder zahlen lediglich 24 Mark Jahresbeitrag und 5 Kreuzer monatlich von ihrem Konto für die Verwaltungskosten, in der Zentrale wird ehrenamtlich gearbeitet.

Tauschringe sehen sich als Beitrag zur Förderung der lokalen Ökonomie, die in Form einer "erweiterten Nachbarschaftshilfe" die Lebensqualität ihrer Mitglieder verbessern. Es geht aber auch darum, ein neues Verständnis von Arbeit zu entwickeln, in dem die Zeit als Bewertungsmaßstab eine tragende Rolle einnimmt. "Geld steht nicht mehr im Vordergrund", so Stefan Purwin über die von den Tauschringen praktizierte "ökonomische Selbsthilfe", "vielmehr verhelfen einem Zeit und die eigenen Fähigkeiten zu materiellen Vorteilen und einer verbesserten Lebenssituation. Tauschringe können nicht das bestehende Geldsystem abschaffen oder ersetzen, aber haben als Nebenökonomie volle Berechtigung".


 
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