© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Frust des Bürgertums
Kommentar
von Gerhard Poschacher

Es ist schade für Österreich und seine Menschen: Die ÖVP ist zu einer Filiale für die Machterhaltung der Sozialisten degeneriert. Eine Partei, in der einst Religion, Familie, Leistung und die soziale Marktwirtschaft einen hohen Stellenwert hatten, und die nur mehr mitregiert, aber keine Hauptverantwortung tragen möchte, darf sich nicht wundern, daß immer mehr Bürger zu Jörg Haider abwandern, der die FPÖ zu einer österreichischen CSU umgestaltet. Er ist die politische Hoffnung all jener, die ein nichtsozialistisches Österreich anstreben. Die SVP (Sozialistische Volkspartei = Regierungskoalition) steht für das vorhandene Machtkartell im Lande. Vom Agrarjournalistenverband über die Hagelversicherung und Bundesforste bis zur Nationalbank ist alles fest in roter, schwarzer, rot-schwarzer und schwarz-roter (falls es einen Unterschied gibt) Hand. Banken, Versicherungen, die Verwaltung von Bund und Ländern, der ORF und die verstaatlichte Wirtschaft repräsentieren den großkoalitionären Machtfilz, den man mit niemandem teilen möchte. Selbst der Rechnungshof wird an der Spitze nicht mehr durch die Opposition vertreten. Man kann zwar als sogenannter Unabhängiger in Österreich allenfalls noch Justizminister oder Bundespräsident werden, sicher aber nicht Sektionschef in einem Ministerium. Wer sich offen zur Freiheitlichen Partei bekennt, hat keine Berufsperspektiven. Die pressegeförderten Medien schreiben sich die Finger wund, damit die "Koalition der Ausgrenzer" Bestand hat. Heuchelei spielt dabei keine Rolle. Wenn sich die theologischen Weichspüler in der Bischofskonferenz um die Aussöhnung mit roten Arbeiterschichten bemühen, wird dies als großer Akt der Versöhnung gepriesen, das religiöse Zugehen auf freiheitliche Wähler, die immer mehr werden und sich zum katholischen Glauben bekennen, wird als Verrat an der Kirchenpolitik kritisiert.

So gesehen dürfte dem ÖVP-Bauernbund als Repräsentant der Ökonomie- und Kommerzialräterepublik auch die Wahl Gerd Sonnleitners zum neuen Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes keine besondere Freude bereiten. Sein politischer Werdegang in der bäuerlichen Interessenvertretung wäre in Österreich undenkbar. Alles, was sich bei uns unabhängig nennt, ist den etablierten Parteien suspekt. Leichter wird man als einfacher Katholik (kirchenrechtlich möglich) in Rom noch Papst, als daß ein Bauer, der kritische Fragen stellt, in der Standesvertretung Furore machen würde. Unbequeme Wahrheiten statt Anbiederung sind aber die Markenzeichen Gerd Sonnleitners, der vor nicht allzu langer Zeit noch die heimische Scholle pflügte und im Passauer Kreistag mit einer selbstgegründeten "Bürgerunion" einige Mandate errungen hatte.

Deutschlands Kanzler Helmut Kohl, der im Gasteiner Tal gerne sein körperliches Gewicht reduziert ohne sein politisches zu vermindern, müßte über seine österreichischen Parteifreunde traurig sein. Er schaffte die deutsche Wiedervereinigung ohne die SPD, die große Koalition ist für den Langzeitregierungschef in unserem Nachbarlande nicht einmal diskutabel. Für die ÖVP ist sie ein (verhängnisvolles) Programm. Der Unterschied: Helmut Kohl, dessen politischen Konturen von der gesamten ÖVP-Führung nicht erreicht werden, regiert seit 14 Jahren, die Volkspartei ist zwar in der Regierung, wird aber jeden Tag schwächer.


 
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