© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Portrait: Dieter Hildebrandt
Hofnarr unter sechs Kanzlern
von Ilse Meuter

Schon sein Vater betätigte sich als Kabarettist, Autor und Schauspieler. Bevor er in dessen Fußstapfen trat, trug er die Uniform der großdeutschen Wehrmacht, legte auf deren obersten Kriegsherrn, Adolf Hitler, den Treueid ab, kam zum Fronteinsatz und geriet in britische Gefangenschaft. 1950-55 wurde in München studiert und passioniert ins Brettl gegangen. Dort sah man Werner Finck, traf Erich Kästner und lernte weitere Kabarettgrößen kennen.

1955 hatte Dieter H. die Uni satt, machte ein eigenes Studentenbrettl unter dem aparten Namen "Die Namenlosen" auf, nahm Schauspielunterricht und bestand statt eines Staatsexamens die Prüfung am Münchner Residenztheater. Im Folgejahr stieß er als Mitbegründer zur "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" und wurde binnen kurzem staatstragend. Alsbald zeichneten Dieter H., Sammy Drechsel, die Herking, Klaus Havenstein und Hans-Jürgen Diedrich verantwortlich für die ARD-Unterabteilung: Witz, politischer. Bekamen anfangs auch die Besatzer noch ihr Fett ab, beschränkte man sich später auf Kanzler- und Parteienschelte aus dem Geiste des 68er-tums. Das Textmaterial stammte zum Großteil vom Jubilar, denn "der Hil-debrandt" wird heuer 70. 1972 verließ er seine Schwabinger Ursuppe, moderierte im ZDF die "Notizen aus der Provinz", bevor "man" ihm zur Kandidatur Straußens eine Zwangspause verordnete.

Seither betätigt er seinen "Scheibenwischer" im SFB. Der Unverdrossene mit dem Kassengestell übernahm Filmrollen in Gerhard Polts famosen Streifen ("Man spricht deutsh"). Mit Kohls Regierungsübernahme brach für die auf Pointen gehende Kleinkunst ein goldenes Zeitalter an, das erst mit dem Abtritt des Oggersheimer Unikums sein Ende finden dürfte. Inzwischen faßte der Schwadroneur mit SPD-Parteibuch seine Autobiographie ab: "Was bleibt mir übrig" erschien bereits 1986. Das Munzinger-Archiv weist ihn als den "dienstältesten und ausdauerndsten Fernsehkabarettisten" aus, ein eher durchwachsenes Prädikat, klingt es doch weniger nach Künstler- als nach Spießertum im linksliberalen juste milieu. Wer machte sonst freiwillig sechs BRD-Kanzlern den Polit-Clown?

Nur ein innerlich stocksteifer Verantwortungsübernehmer, der folglich alles Recht der Welt hätte, dort öffentlich-rechtlichen Empörungstrost zu spenden, wo Realität und Satire längst ununterscheidbar geworden sind. Fragt man nach der herrschaftstechnischen Funktion, die solch stereotypes ARD-KdF-Ablachen erfüllt, zeigt sich abermals die Schlüsselrolle, die dem medialen Gesellschaftssegment bei der massendemokratischen Entrüstungssimulation zukommt: Spannungsabfuhr durch untertäniges Angstlachen, ironische Brechung rituell "aufgedeckter" "Skandale", letztlich das Abtreiben der Einsicht, daß das Ganze längst ein einziger Skandal ist.


 
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