© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Verfreundete Nachbarn: Vom Klischee zur Wahrheit
Opfer des "Angleutsch"
von Andreas Mölzer

Der Staatsgast ist längst in die Villa Hammerschmidt zurück gekehrt, wohl um seine nächste Philippika vorzubereiten. Die "hundert wichtigsten Österreicher", die ihm in der Wiener Hofburg vorgestellt worden waren, haben ihre Fräcke wieder eingemottet oder bei Lambert Hofer zurückgegeben. Die österreichische Politik- und Medienöffentlichkeit hat die erwartete Höflichkeit des Gastes – "Es gibt Tage, an denen ich mit Neid nach Österreich hinüberschaue" – zur Kenntnis genommen und ihrerseits entsprechend diplomatisch höflich reagiert. Daß Aversionen gegen die "Piefkes" die einzige Form von Xenophobie sind, die in der Alpenrepublik auch bei zeitgeistgerechten Gutmenschen und Berufsantifaschisten als durchaus sozial adäquat gilt, durfte man für einige Tage vergessen. Wohl deshalb, weil Roman Herzog das deutsch-österreichische Verhältnis so taktvoll umschrieb: "Deutsche und Österreicher sind in ihrer Geschichte, in ihrer Kultur und Lebensart nicht allein daheim, sondern gemeinsam zu Hause", um im gleichen Atemzug zu warnen, die "geistigen Wurzeln mit nationalem Pathos zu überfrachten". Da hat er natürlich den Geschmack seiner österreichischen Zuhörer getroffen: Nichts würde man innerhalb der rot-weiß-roten Grenzpfähle weniger goutieren, als "nationales Pathos", allzumal ja laut dem verblichenen Bruno Kreisky "national in Österreich noch immer deutschnational bedeutet". Herzogs vorsichtige Formulierung, daß Deutsche und Österreicher historisch und soziokulturell "gemeinsam zu Hause", gemeint ist wohl das Haus der deutschen Geschichte, seien, ist indes einigermaßen zutreffend. Wesentlich ehrlicher jedenfalls als es jene typisch österreichischen Geistreicheleien, mit denen man hierzulande um den heißen Brei herumzureden pflegt: Es seien "verfreundete Nachbarn", meint man, um wortspielerisch das Problem anzudeuten, daß eine spezifisch österreichisch-nationale Identität primär nur in Abgrenzung gegenüber der deutschen Identität gefunden werden kann.

Und jeder Halbgebildete vermag Karl Kraus zu zitieren, der bekanntlich gemeint hat, Österreicher und Deutsche würden "durch die gemeinsame Sprache getrennt". Dabei ist in unseren Tagen nichts so verräterisch einheitlich zwischen Kiel und Klagenfurt wie die heuchlerische, gemeinsame Sprache der political correctness, die die einzig akzeptable Identität der Menschen des deutschen Kulturraums in Pflicht-Antifaschismus und perpetuierter Vergangenheitsbewältigung zu erkennen vermag. Und von wegen trennende, gemeinsame Sprache: Österreich als bundesdeutsche Medienkolonie ist längst völlig zum Opfer des nivellierten und nivellierenden "Angleutsch" der Werbeblöcke in bundesdeutschen Privat-Fernsehstationen geworden.

Die Realitäten seit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung des Jahres 1989 und dem österreichischen EU-Beitritt sind ohnedies völlig veränderte: Konnte der seinerzeitige Doyen der bundesdeutschen Geschichtsschreibung, Karl Friedrich Erdmann, noch vor gut zehn Jahren von "drei Staaten, zwei Nationen und einem Volk" sprechen, das da in BRD, DDR und Österreich lebe, so ist Österreich nunmehr an den Rand eines gesamteuropäischen, in ökonomischer und realpolitischer Hinsicht überdominant wirkenden Deutschlands gerückt. Kein Wunder, daß manche fürchten, als 17. deutsches Bundesland so nebenbei "abgewickelt" zu werden. Österreichische Heuchelei und neudeutsche Herablassung – man denke an die Ösi-Phobie und die vielen infantil-brutalen Österreicher-Witze in der Bundesrepublik – verschärfen dieses Problem. Wenn Helmut Kohl für die Geltung der deutschen Sprache in der europäischen Union kämpft und österreichische Außenpolitiker englische Ansprachen mit Meidlinger "L" halten, ist das auch nicht gerade hilfreich für ein entspanntes deutsch-österreichisches Verhältnis in historischer Wahrhaftigkeit.

Dabei ist die Notwendigkeit für ein solches Verhältnis größer denn je: Auch nach dem EU-Beitritt ist die Verflechtung in ökonomischer und kommunikatorischer Hinsicht zwischen Österreich und Deutschland größer denn je geworden. Nicht nur der Ausverkauf von Billa, Thonet und Anker-Brot an die Bundesdeutschen ist ein Indiz dafür.

Das nächstjährige Gedenkjahr an die bürgerliche deutsche Revolution von 1848, da von Wiener Stephansdom die schwarz-rot-goldene Trikolore flatterte, könnte – so es überhaupt begangen wird – ein Anlaß für eine Entkrampfung von österreichischer Seite sein. Man müßte die Verleugnung des österreichischen Anteils an der deutschen Geschichte durch einen neuen Konsens ersetzen, wie er nüchtern und unsentimental etwa im neuen, heftig diskutierten Programmvorschlag der Freiheitlichen formuliert ist: "Die deutsche Mehrheitsbevölkerung wird gegenüber den zu schützenden ethnischen Minderheiten vom Gesetz denklogisch vorausgesetzt." Etwas, was nicht nur in ein Parteiprogramm, sonderen sehr wohl eigentlich auch in die Bundesverfassung einer selbstbewußten österreichischen Republik gehören würde. Aber wer hat schon den Mut zu diesem Schritt?


 
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