© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
34. Berliner Theatertreffen: Im Bannkreis der "Volksbühne"
Künstlicher Generationenwechsel
von Hans-Jörg von Jena

Ist das Theatertreffen am Ende? Vor zwei Jahren schien es schon einmal so, als Bonner Unverstand mit den relativ bescheidenen Geldmitteln zögerte. Das ist offenbar überwunden. Krisen hat es auch früher gegeben. Daß die Arbeit der Kritikerjury, die Auswahl der "bemerkenswertesten" Inszenierungen bemängelt wird, daß sich unberücksichtigte Regieprominenz bläht und spreizt: das alles hatten wir schon. Der Neugier und dem Erfolg beim hauptstädtischen Publikum haben die Querelen und Diskussionen niemals Abbruch getan.

Trotzdem hatte die Kritik an der Auswahl diesmal einen anderen Unterton. Es wurde nicht die Auswahl allein, es wurde die Autorität und Unvoreingenommenheit der fünf Juroren in Frage gestellt. In ihrer Mehrheit scheinen sie einem einseitigen Theaterverständnis verpflichtet. Weniger denn je bedeutet ihnen der Text, mehr denn je das Regietheater. Und dabei forcieren sie einen "Generationswechsel", den es nicht gibt; denn radikal neue Ansätze und Sichtweisen, die ihn übers Biologische hinaus legitimieren müßten, sind bislang keineswegs erkennbar.

Mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, das mit drei Inszenierungen vertreten war, dem Staatstheater Stuttgart und der Volksbühne Berlin, die je zweimal eingeladen wurden, waren bestimmte Bühnen bevorzugt. Für München (Borcherts "Draußen vor der Tür"), Zürichs Theater am Neumarkt ("Top Dogs" von Urs Widmer) und die Berliner Freie Gruppe Sasha Waltz & Guests ("Allee der Kosmonauten") blieben die restlichen Plätze. Das Feld wird noch enger, wenn man auf die Überschneidungen sieht. Christoph Marthaler ("Kasimir und Karoline") hat auch "Lina Böglis Reise" an der Volksbühne Berlin inszeniert. Andreas Kriegenburg (München) gehört wie die "Kosmonauten"-Gruppe in den Berliner Sophiensälen in den Bannkreis der Volksbühne. Gibt es so wenig andere?

"Kommen Sie, sehen Sie erst einmal selbst!", forderte der Sprecher der Kritikerjury. Wie aber, wenn sich das von Jahr zuJahr weniger als möglich erweist? Selbst Journalisten werden neuerdings auf Fernsehübertragungen und Aufzeichnungen verwiesen. Aber als Grundlage für ein eigenes Urteil eignet sich das Surrogat nicht. So bleibt man auf Stichproben angewiesen, von denen aus allerdings Schlußfolgerungen gewagt werden können. Anker des Mißtrauens gegen die Jury ist "Des Teufels General", vor Monaten schon in der Volksbühne Berlin qualvoll abzusitzen: Die Orgie der Abseitigkeiten, mit der Frank Castorf Zuckmayers Problemdrama teils zerhackt, teils verfehlt, hätte Hervorhebung nur als dümmste Inszenierung der Spielzeit verdient. Und wenn der junge Stefan Bachman "Triumph der Illusionen" von Pierre Corneille als bloß artistischen Klamauk bringt, der austauschbar auf hundert andere Stücke anwendbar wäre, dann darf man von daher auf die Maßstäbe schließen. Eine Ausnahme bildet Tschechows "Iwanow" in der Stuttgarter Inszenierung von Elmar Goerden. Keine Inszenierung des Theatertreffens hat soviel Widerspruch erfahren! Nur allzu begreiflich! Auch bei der dritten Aufführung war der Text oft nur mit Mühe (und oft gar nicht) zu verstehen, die Langeweile im Alltag und Seelenleben russischer Gutsellschaften übertrug sich lähmend auf die Zuschauer. Der junge Regisseur ging dem Dialog – dem offensichtlichen, hörbaren und dem schweigenden, unausgesprochenen – mit intensiver Sorgfalt nach. Dabei tat er vor der Pause des Guten zuviel. Erst im zweiten Teil bannen Goerdens bohrende Bemühungen und das hingebungsvolle Ensemble auf sanfte Art.


 
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