© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Wirtschaft: Mitteldeutsche Mineralölindustrie kann noch hoffen
Politisches Tauziehen
von Rüdiger Ruhnau

Blühende Landschaften versprach Bundeskanzler Kohl den mitteldeutschen Landsleuten nach der Wende. Sieben Jahre später sieht das Ergebnis mager aus. Die Ex-DDR, vordem offiziell zehntstärkste Wirtschaftsmacht unter den Staaten, ist weit zurückgefallen. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf über zwei Millionen angestiegen. Hatte man 1990 noch mit einem Rückgang von 180.000 Beschäftigten in der Chemiebranche auf mittelfristig 45.000 gerechnet, so ist man heute froh, wenn die Zahl von 30.000 Werktätigen nicht unterschritten wird.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Nationalpark Unteres Odertal steht die PCK-Raffinerie Schwedt/Oder, in der seit 1964 Erdöl verarbeitet wird. Die Versorgung mit Rohöl erfolgt über eine 3.000 Kilometer lange Pipeline aus dem westsibirischen Raum, ist aber auch über Rostock und Danzig möglich. Kurz nach der Vereinigung herrschte bei dem Mineralölwerk tiefe Depression. Der große Bereich von Forschung und Entwicklung hatte keine Aufgaben mehr. Zu hoher Personalbestand, starker Nachholbedarf in der Instandsetzung, veraltete Kommunikationssysteme, dazu eine sehr komplexe Organisationsstruktur – alles Probleme, die gelöst werden mußten. Dazu kam der Übergang in ein anderes Wirtschaftssystem und die brennende Frage, woher die enormen Investitionsmittel zur Nachrüstung aller Umweltschutzmaßnahmen kommen sollten. Mit der 1991 erfolgten Privatisierung begann man wieder Mut zu schöpfen.

Die neuen Anteilseigner, zusammengesetzt aus VEBA Öl, DEA-Mineralöl und einem Konsortium aus AGIP, ELF und TOTAL, stellten 1,5 Milliarden Mark für die Modernisierung zur Verfügung, wovon etwa die Hälfte für Umweltschutzmaßnahmen vorgesehen ist. Weitere 700 Millionen Mark werden für den Bau eines neuen Kraftwerkes ausgegeben, wodurch ein bedeutender Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität geleistet wird.

Fertiggestellt wurden inzwischen eine neue Flüssiggaswäsche, Entsalzer für die Rohöldestillationen, eine Mitteldestillatentschwefelung, die es erlaubt, Dieselkraftstoff mit nur 0,05 Prozent Schwefel anzubieten, sowie eine Leichtbenzin-isomerisierung. Mit dem Isomerisierungsbenzin kann nach Bedarf auf höheroktanige Benzinkomponenten umgestellt und auf die Verwendung des schädlichen Tetraethylblei verzichtet werden. Alle Projekte, ob Neuanlagen oder die Modernisierung alter Betriebe, wurden unter dem Aspekt der Verbesserung des Umweltschutzes ausgeführt. Die öffentliche Anerkennung blieb nicht aus. Eine schwedische Zertifizierungsgesellschaft verlieh dem Qualitätsmanagementsystem der Firma Petrolchemie und Kraftstoffe AG Schwedt ein Umweltzertifikat. Es ist bis 1998 gültig für die Produktionsbereiche Herstellung, Lagerung und Versand von Mineralöl- und petrochemischen Produkten. In jährlichen periodischen Audits wird die Qualitätsarbeit überprüft. Derzeit kann das produzierende Gewerbe zwischen zwei international gültigen Umweltmanagement-Standards wählen: die EU-Verordnung Öko-Audit und den weltweit anerkannten Standard ISO 14001.

Täglich liefert die Raffinerie Schwedt etwa 15.000 Tonnen Fertigprodukte ab, darunter Normalbenzin, Superkraftstoffe, Düsentreibstoffe, Heizöle, Dieselkraftstoff, Propan und Butan, die größtenteils mit Kesselwagen versendet werden. PCK, Mitglied der Stiftung Nationalpark Unteres Odertal, ist eines der größten Industrieunternehmen Brandenburgs, gelegen am Rande der einmaligen Flußauenlandschaft des Urstromtals der Oder. Jährlich machen dort Tausende Zugvögel Station, vom Aussterben bedrohte Vogelarten haben in der Oderniederung ihren Nistplatz. Auch die verschiedensten dort beheimateten Säugetier-, Amphibien-, Reptilien- und Fischarten sind ein Beweis für das geglückte Miteinander von Hochtechnik und Artenvielfalt.

In Sachsen-Anhalt, zwischen Leipzig und Halle, liegt der in DDR-Zeiten wichtigste Chemiekomplex Mitteldeutschlands, die Leuna-Werke. Mit einer Arbeitslosenquote von 19,9 Prozent steht Sachsen-Anhalt an der Spitze aller Bundesländer. Von den ehemals 28.000 Beschäftigten der Leuna-Werke haben zwei Drittel ihren Arbeitsplatz verloren. Inzwischen werden die Tätigkeiten der ehemaligen Leuna-Werke GmbH von einer ganzen Reihe neuer Unternehmen weitergeführt. Der Strukturwandel war überhaupt nur möglich, weil die öffentliche Hand mit rund sechs Milliarden Mark an Zuschüssen namhafte Investoren anlockte, die sich satte Gewinne für die Zukunft versprachen.

Mit 4,8 Milliarden Mark steckte der französische Industriekonzern "ELF Aquitaine" das meiste Geld in Leuna hinein. ELF übernahm auch das mitteldeutsche Minol-Tankstellennetz mit 484 Stationen – sehr zum Ärger von ARAL und BP, die sich benachteiligt fühlten. Der ehemalige ELF-Chef Le Floch-Prigent steht heute im Mittelpunkt von Ermittlungen, weil mehrere französische Blätter berichteten, ELF hätte für den Einstieg Extragelder fließen lassen.

Eines der weltweit größten Industrieprojekte am Ende dieses Jahrhunderts stellt der Bau der Mitteldeutschen Erdöl-Raffinerie "Mider" innerhalb des Leuna-Standortes dar. Dieser erste Raffinerieneubau in Europa seit 15 Jahren soll im Herbst dieses Jahres den Betrieb aufnehmen. Das gesamte Geschäft für Produktion und Vertrieb wird von der französischen Tochtergesellschaft ELF OIL Deutschland GmbH in Berlin geführt. MIDER wird die alten, wenig umweltfreundlichen Raffinerieanlagen in Leuna ersetzen, die teilweise schon seit 1927 arbeiten und seinerzeit das berühmte Leuna-Benzin ("Benzin aus Kohle") herstellten.

Die zu 43 Prozent von den Franzosen gehaltene Mitteldeutsche Erdöl-Raffinerie GmbH (33 Prozent der Gesellschaftsanteile trägt die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) wird eine Verarbeitungskapazität von 9 Millionen Jahrestonnen Rohöl besitzen, was vorwiegend aus Rußland bezogen wird. Produziert werden hochoktanige Ottokraftstoffe, Dieselkraftstoffe mit niedrigem Schwefelgehalt, Flugzeugtreibstoffe und Bitumen. Mehr als 50 Prozent der Produktion sollen auf Diesel und leichtes Heizöl entfallen. Auch die Erzeugung von Naphtha, eine Benzinfraktion mit Siedepunkten zwischen 150 und 225 Grad Celsius, als Rohstoff für benachbarte petrochemische Anlagen – insbesondere für den Steam-Cracker in Böhlen – ist vorgesehen. Die Fertigprodukte, darunter auch Methanol, werden über Pipeline, auf dem Schienenweg oder per Straßentransport abgesetzt.

Zahlreiche Vorkehrungen wurden für den Umweltschutz getroffen. Rauchgasentschwefelung, Stickoxidminderung, verstärkter Bodenschutz, leistungsfähige Kläranlagen und nicht zuletzt Lärmminderung werden zur Umweltintegration der Raffinerieanlagen in ihre Umgebung beitragen. Man hofft, daß die neue Raffinerie zu einem Wirtschaftsfaktor ersten Ranges und zu einem Eckpfeiler des mitteldeutschen Chemiedreiecks werden wird. Nach wie vor können die neuen Bundesländer aus eigener Kraft nicht existieren, deswegen ist auch das politische Tauziehen um die weitere Förderung für den Aufbau Ost unangebracht. Hart genug hat es schon die Wissenschaftler in den Industriebetrieben getroffen, denn nach dem Verkauf an westdeutsche oder ausländische Firmen wurden die meisten Abteilungen für Forschung und Entwicklung gnadenlos aufgelöst.

Prof. Dr. Rüdiger Ruhnau, Forschungsstelle Umwelt und Chemie-Industrie FUCI.


 
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