© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
Ausländer: Bonn kürzt seit 1. Juni die Sozialleistungen
Grenze des Machbaren
von Thomas Laake und H.-P. Rißmann

Wieder geht eine EU-Bombe hoch: Auf dem Amsterdamer EU-Gipfel am 16./17. Juni in Amsterdam soll ein Vertrag verabscheidet werden, in dem u. a. die Regelungen über Beschäftigungsmöglichkeiten von EU-Ausländern und Ausländern aus Drittstaaten in Mitgliedsländern der Europäischen Union geregelt wird. Das Ergebnis der in Vorverhandlungen von Bonner Unterhändlern abgesegneten Version bedeutet: Allen in Europa ansässigen Bürgern und den insgesamt zwölf Millionen "Drittstaatlern" ist es dann möglich, auch nach Deutschland zu kommen und die vergleichsweise hohen deutschen Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Prost Mahlzeit, dachten sich die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und Kurt Beck (SPD) und intervenierten beim Kanzler – bisher ergebnislos.

Schon jetzt ist Deutschland einsamer Spitzenreiter bei der Aufnahme von Ausländern (siehe nebenstehende Graphik). Was dann Deutschland an finaziellen Belastungen blüht, kann nur erahnt werden. Eine wahre Wanderungswelle könnte in eine soziale Katastrophe ungekannten Ausmaßes münden.

Erster Vorbote dieser neuen EU-Regelung: Am 1. Juni ist die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes in Kraft getreten. Durch die Reform wird die Frist für Leistungsabsenkungen (rund 20 Prozent) für Asylbewerber über das – 1992 von der Koalition und der SPD gemeinsam beschlossene – erste Jahr hinaus auf drei Jahre erweitert. Die Absenkung unter das Sozialhilfeniveau ist wohl auch gerechtfertigt, weil der überwiegende Teil dieses Personenkreises nicht damit rechnen kann, auf Dauer in Deutschland zu verbleiben. Aufwendungen für die volle Integration in die Gesellschaft erscheinen bis dahin nicht notwendig. Wenn allerdings dem Asylantrag stattgegeben wird, entfällt die Absenkung bereits vor Ablauf der drei Jahre.
Auch Bürgerkriegsflüchtlinge werden in diese Regelung einbezogen. Insbesondere seitdem feststeht, daß die freiwillige Rückkehr nach Bosnien möglich ist, war eine solche Regelung überfällig.
Die Möglichkeiten, besonderen Härtefällen durch höhere Leistungen gerecht zu werden, sind mit der Reform erweitert worden. Das strenge Sachleistungsprinzip wird aus Gründen einer flexibleren Anpassung an die örtlichen Verhältnisse gelockert. Die Länder leisten anstelle der bisher vorgesehenen Kompensation für den Bund nunmehr einen Beitrag zum Wiederaufbau in Bosnien.
Durch das Asylbewerberleistungsgesetz, das am 1. November 1993 in Kraft getreten ist, wurden die Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt der Asylbewerber aus dem Bundessozialhilfegesetz herausgelöst und in einem eigenständigen Gesetz geregelt. Es beinhaltet in der ab dem 1. Juni 1997 geltenden Fassung nunmehr folgende Kernpunkte:

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldete Ausländer.
- Die Sicherung des Lebensunterhalts erfolgt auf die Dauer von drei Jahren vorrangig durch Sachleistungen. Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen können die Leistungen, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, auch in Form von Wertgutscheinen sowie von anderen vergleichbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.
Dabei sind 360 DM für den Haushaltsvorstand, 310 DM für Haushaltsangehörige nach Vollendung des 7. Lebensjahres und 220 DM für jüngere Haushaltszugehörige anzusetzen. Zusätzlich erhalten die Leistungsberechtigten zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens einen Geldbetrag von 80 DM monatlich; Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres erhalten 40 DM.

- Bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt werden die medizinisch notwendigen Hilfen geleistet. Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldete Ausländer sind verpflichtet, während der Dauer des Verfahrens ihre Arbeitskraft für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen. Als Anerkennung und zur Förderung der Arbeitsmotivation wird eine Aufwandsentschädigung von 2 DM je Stunde gezahlt.

- Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die über Einkommen und Vermögen verfügen, haben dieses zuerst aufzubrauchen. Bei Sachleistungen in Einrichtungen sind die Kosten dafür von dem, der dazu in der Lage ist, zu erstatten.

- Asylbewerbern, Bürgerkriegsflüchtlingen und geduldeten Ausländern werden nach drei Jahren Leistungen entsprechend der Sozialhilfe gewährt, wenn die Ausreise und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche, persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Andernfalls bleibt es bei der Absenkung.

- Die Durchführung des Gesetzes ist Aufgabe der Länder. Sie können die zuständige Behörde und die Kostenträger bestimmen.

Wie nicht anders zu erwarten war, löste das Inkrafttreten der Reform unterschiedliche Reaktionen aus. Während Politiker des Bundes und der Länder die Gesetzesnovellierung begrüßten, wurde sie von Organisationen wie Pro Asyl kritisiert. Der Sprecher von Pro Asyl, Kauffmann, bezeichnete die Reform am vergangenen Sonntag in Frankfurt am Main als ein "rassistisch geprägtes Sondergesetz".

Bleibt abzuwarten, ob die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes die öffentlichen Haushalte tatsächlich entlastet, ober ob sie wieder nur eines der vielen Tröpfchen auf den heißen Stein ist.


 
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