© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
SBZ/DDR-Enteignete: Auch in Amerika organisieren sich die Opfer der Bodenreform
Eine Hypothek des Unrechts
von Kristof Berking

Schon lange vor der Wende haben sich US-Staatsbürger unter Einschaltung des US-Kongresses und anderer hoheitlicher Stellen um die Rückgabe, respektive Entschädigung, ihrer im Rahmen der stalinistischen Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) (1945 bis 1949) und durch Maßnahmen der DDR (ab 1949) beschlagnahmten Vermögensgegenstände bemüht. Seit der Wende haben sich diese Aktivitäten noch wesentlich verstärkt. Sowohl in Kanada als auch in den USA haben sich Betroffene zu Arbeitsgemeinschaften zur Aufarbeitung des stalinistischen Unrechts und der rechtswidrigen Enteignungsmaßnahmen zusammengeschlossen. Die sogenannten Focus groups unterhalten zahlreiche Verbindungen zu kanadischen Parlamentariern und US-Kongreß-Abgeordneten und Senatoren, sowohl des demokratischen als auch des republikanischen Lagers. Dabei sind in der Beurteilung des Eigentumsrechts amerikanischer Staatsbürger keinerlei Unterschiede zwischen den Abgeordneten des republikansichen und des demokratischen Lagers festzustellen.

Mitglieder der US-Focusgroup haben 1995 damit begonnen, die Bodenreformproblematik durch das Internet weltweit bekanntzumachen (http://www.german-dirty-deeds.com). Diese Internetseiten ("Webpages") amerikanischer Betroffener enthalten unter anderem eine Petition an den US-Kongreß und den Präsidenten Bill Clinton, die den Kongreß dazu aufruft, die US-Administration zur Intervention in Bonn aufzufordern. Von dieser Webpage sind ferner elektronische Verbindungen ("links") zu den Internetseiten sämtlicher Senatoren der Vereinigten Staaten gelegt. Inzwischen hat auch ein deutscher Opferverband, die "Arbeitsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) e.V." (http://are.org) und der "Göttinger Kreis – Studenten für den Rechtsstaat e.V." (http://members.aol.com/goekreis) ihre eigenen Webpages eingerichtet, die wiederum mit der amerikanischen verknüpft sind und umgekehrt.
Die überregionalen US-Zeitungen berichteten in der Vergangenheit vornehmlich über verschiedenste Einzelfälle, insbesondere wenn jüdische Ansprüche geltend gemacht werden. Am umfassendsten und grundsätzlichsten hat sich bislang das Wall Street Journal, die bekannteste US-Finanzzeitung, mit der Bodenreform auseinandergesetzt; dort machte bereits 1994 der Frankfurter Anwalt und Professor Alexander Riesenkampff in einem längeren Artikel "The Darker Side of German Reunification" den Umgang der Kohl-Regierung mit den Opfern der kommunistischen Enteignungen bekannt und 1996 klärte Erimar von der Osten, der auch für die genannte Website der US-Focusgroup verantwortlich zeichnet, in einem längeren Artikel über die Hintergründe auf.

Solche Aufklärungsarbeit hat dazu geführt, daß bei Treffen diverser Handelskammern und anderer Industrie-assoziationen in den USA immer wieder an die unglückliche Behandlung des Eigentumsbegriffs durch deutsche Regierungsstellen erinnert wird. Im September werden sich die US-amerikanischen und kanadischen Betroffenen zu einer Mahn-Ansprache in Washington D.C. einfinden, um die Problematik den Mitgliedern des Kongresses näherzubringen. Bereits Ex-Präsident George Bush hat anläßlich einer Veranstaltung in Aachen darauf hingewiesen, daß er eine "Vorbedingung der Sowjetunion", wie sie seitens Bonn behauptet wird, nicht bestätigen könne.
Eine erste Tagung der heute über ganz Nord-Amerika verstreut lebenden Enteignungsopfer im August 1996 in Hurley, Wisconsin, hatte ein erhebliches Presseecho zu Folge. Der Daily Globe aus Michigan brachte seinen Bericht sogar auf der Titelseite: "Germans fight for their land". Erimar von der Osten, der sich als Vorstandsmitglied der "Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen (AfA)" um die Problematik der ausländischen Opfer der "Bodenreform" kümmert, weiß aus vielfältiger Anschauung zu berichten und zeigt sich sehr beeindruckt, daß viele dieser von den Kommunisten in die Emigration getriebenen Mitteldeutschen mit Stolz, gewissermaßen als Diplomaten ihres Herkunftslandes, ein Stück deutscher Kultur in unzähligen kleinen und größeren Kommunen vertreten. Mit der Sanktionierung stalinistischen Unrechts durch die Bundesregierung sei ihr Glauben in den deutschen Rechtsstaat erschüttert. Sie warnten bereits vor parteitotalitären Strukturen in Deutschland. Da sie in den USA eine vergleichsweise wesentlich ältere und verfestigtere Demokratie kennengelernt hätten, vertrauen sie darauf, daß die US-Regierung die Wahrung ihrer Eigentumsrechte gegenüber dem Bündnispartner Deutschland durchsetzen werde.
Mit viel Nachdruck hat sich in Kanada der Völkerrechtler und Parlamentarier Professor McWhinney der Ansprüche kanadischer Staatsangehöriger angenommen. Das Anliegen der Kanadier wird auch vom Deutsch-Kanadischen-Kongreß von British Columbia, stellvertretend für deutsch-kanadische Verbände anderer Provinzen, betreut.

In den USA ist einerseits zwischen den Opfern der stalinistischen Bodenreform und DDR-Enteignungen, die bereits zum Zeitpunkt der tatsächlichen Wegnahme US-Staatsbürger waren, und andererseits den Opfern, die erst nach der Wegnahme US-Staatsbürger wurden, zu unterscheiden. Hinsichtlich der ersten Gruppe von Opfern hat der Deutsche Bundestag 1993 ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten über die Entschädigung von amerikanischen Opfern von Enteignungen der SBZ und der DDR ratifiziert.

Gemäß dieses Abkommens erhalten US-Bürger und Unternehmen, sofern diese bereits zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Wegnahmen amerikanische Rechtspersönlichkeiten waren, eine Entschädigung zum Verkehrswert zum Zeitpunkt der Wegnahme zuzüglich drei Prozent Zinsen für jedes seither vergangene Jahr. Schulden und eventuell erhaltene Lastenausgleichszahlungen wurden dabei abgezogen. Im Ergebnis liegen damit die Zahlungen an amerikanische Bürger, die schon vor der Enteignung US-Bürger waren, also insbesondere an bereits vor 1945 Emigrierte, um ein Vielfaches über den Leistungen, die deutsche Enteignungsopfer nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) – zur frühesten Auszahlung ab dem Jahr 2004 – erwarten dürfen, obwohl deren Vermögen zum überwiegenden Teil im Besitz der Bundesrepublik Deutschland ist und ohne weiteres unter Beachtung der schutzwürdigen Interessen Dritter, vornehmlich Bürger der neuen Bundesländer, zurückgegeben werden könnten.
Die zur Anerkennung von Entschädigungsansprüchen eingesetzte "Foreign Claims Settlement Commission of the United States" mit Sitz in Washington D. C. hatte es sich lange vor der Wiedervereinigung zur Aufgabe gemacht, in jedem einzelnen Fall den tatsächlichen Wert des entzogenen Vermögens zum Zeitpunkt des Verlustes festzustellen. Da die Verkehrswerte mangels freier Märkte der Kommission in aller Regel nicht mitgeteilt werden konnten, hat die Kommission selbst für jeden einzelnen Fall aufgrund jeweils vorliegender Angaben diesen Wert geschätzt. Wie die zahlreichen Einzelfälle zeigen, hat sie sich dabei bemüht, den Wert zu ermitteln, der bei einem politisch nicht beeinflußten Verkauf unter normalen, (markt-)wirtschaftlichen Bedingungen zu erzielen gewesen wäre.

Zur Wertermittlung hat sie sich in aufwendiger Aufklärungsarbeit, teilweise sogar vor Ort, auf verfügbares deutsches Material gestützt, wie zum Beispiel Einheitswerte, Gemeinde-Hektarsätze, Bodenpreis- und Mietspiegel, Handels- und Steuerbilanzen, Feuerversicherungswerte, Statistiken über Baukosten, u.a.. Die Kommission hat sich dann detailliert um eine Berücksichtigung der vermögensartspezifischen Kaufpreisermittlung bemüht. Nach der Wertfeststellung hat sie eventuelle auf dem Vermögensgegenstand bestehende Lasten abgezogen. Den so festgestellten Schadenswert hat die Kommission zum Wechselkurs des Konfiskationsjahres in US-Dollar umgerechnet und mit sechs Prozent jährlich ohne Zinseszins vom Entzugszeitpunkt an verzinst.

Die Summe der anerkannten Entschädigungsansprüche zuzüglich der jeweils aufgelaufenen Zinsen stellt die Pauschalsumme dar, über welche die Regierung der Vereinigten Staaten zunächst mit der DDR und später mit der Bundesrepublik Deutschland verhandelt hat. In einem Schriftwechsel mit Bodenreformopfern weist der Bonner Finanzminister zu Recht daraufhin, daß dieser Pauschalbetrag in längeren Verhandlungen auf 190 Millionen US-Dollar gesenkt wurde. Hierzu erklärt das amerikanische Außenministerium, daß dies einer Kürzung der jährlichen Verzinsung von sechs auf drei Prozent entspricht. Die Hauptentschädigungsansprüche auf Grundlage der angemessenen individuellen Verkehrswerte wurden also nicht gekürzt.

Im Ergebnis werden deutsche Opfer von unrechtmäßigen Konfiskationen nach dem 8. Mai 1945 bis 1989 in einem nicht nachvollziehbaren Ausmaß schlechter entschädigt als amerikanische Opfer von Vermögensentzug der gleichen Art aufgrund derselben Gesetze und Verordnungen, in gleichen Zeiträumen und durch dasselbe Regime.

Der Vorgang enthält zudem auch wettbewerbspolitische Implikationen: Die im deutsch-amerikanischen Entschädigungsabkommen vereinbarte Pauschalsumme dient nicht nur zur Entschädigung natürlicher Personen, sondern gleichermaßen zur Entschädigung juristischer Personen, die nach dem EALG, d.h. wenn es sich um deutsche Unternehmen handelt, überhaupt keine Wiedergutmachung erhalten sollen.

Da die amerikanischen Ansprüche aus dem Fond gespeist werden, der von der Bundesrepublik finanziert wurde, hat die Bundesregierung die Sachverhaltsermittlung und die Entschädigungszumessung durch die amerikanische Regierung in zahlreichen Einzelfällen überprüft – nachzulesen in der Denkschrift der Bundesregierung zum deutsch-amerikanischen Entschädigungsabkommen. Dort wird allerdings behauptet, daß die Entscheidungen der feststellenden amerikanischen Behörde "auch bei Auslegung deutscher Maßstäbe nicht anders ausgefallen wäre, insbesondere in der Regel nicht zu niedrigeren Entschädigungssummen geführt hätte". Tatsächlich sollen deutsche Opfer nur einen geringen Bruchteil dessen erhalten, was den amerikanischen Staatsbürgern, die bereits vor dem Enteignungsakt eingebürgert worden waren, – zu Recht – zugestanden wird. Augenscheinlich kann ein deutscher Staatsbürger nicht damit rechnen, von der Bundesrepublik genauso behandelt zu werden, wie amerikanische Staatsbürger von der Bundesrepublik behandelt werden.

Andererseits kann sich die Bundesrepublik zum gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts der desolaten Haushaltslage eine Entschädigung nach dem Maßstab, den sie gegenüber US-Bürgern anwendet, keinesfalls leisten. Von daher fordern die amerikanischen Betroffenen, die noch nicht entschädigt wurden, insbesondere also die, die erst nach der Enteignungsmaßnahme die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben haben, daß das überwiegend im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Eigentum nicht weiterhin von der Bundesrepublik im Hinblick auf einen späteren Verkauf mit horrenden Verlusten verwaltet wird, sondern daß die Vermögensgegenstände, die, wie Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig unstreitig feststellte, den Eigentümern in unrechtmäßiger Weise weggenommen worden waren, zurückgeben werden – selbstverständlich unter strikter Wahrung der schutzwürdigen Interessen Dritter. Dieser Beitrag zur Haushaltssanierung sei dringend erforderlich um den deutschen Steuerzahler zu entlasten.


 
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