© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
Neutralität: Plötzlich heißt es "Lebenslüge"
Fakten gegen Fiktion
von Jürgen Hatzenbichler

Politisch ist sie das "Goldene Kalb" der österreichischen Innenpolitik. Noch immer gibt es Politiker, die so tun, als ob die Neutraliät das Wesentlichste wäre, was es in der Alpenrepublik gibt. Der Historiker Oliver Rathkolb, der gerade an seiner Habilitation mit dem Thema "US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich" arbeitet ist da anderer Meinung: "Im Kriegsfall war die Annahme der Unverletztlichkeit durch Neutralität eine Lebenslüge. Man soll sich nichts vormachen." Und auch im Polit-Magazin profil mutiert die Neutralität zu Lebenslüge, wenn auch noch mit einem Fragezeichen versehen. Immerhin aber klassifiziert man die "Verschweizerung Österreichs als "Mythos".

Die Entdeckungen der letzten Zeit überlassen den Glauben an die Neutralität wirklich nur mehr den Naivsten. Rathkolbs Forschungen belegen, daß man auch in der politischen und militärischen Führung der neutralisierten Republik nach 1955 nicht an den neuen Status glaubte. Österreich wollte geheime US-Förderungen für den Aufbau des Bundesheers. Dafür wollte man, wie der österreichische General Liebietzky den Italienern versicherte, vornehmlich Westösterreich verteidigen. Damit hätte man sich in die Nato-Verteidigungsfront eingegliedert. Klares Feindbild: der Bolschewismus. 1956 kabelte die US-Botschaft in Wien an das amerikanische Oberkommando der Streitkräfte: "Die österreichischen Militärbehörden sehen im Kriegsfall eine aktive Teilnahme an der Seite des Westens als einzige Option."
Auch andere Fakten erschüttern die Fiktion der Neutralität. Nachdem erst unlängst amerikanische Waffendepots aus der Erde der Alpenrepublik gebaggert wurden, – immerhin umfangreiche Waffenbestände für die Ausrüstung von von 1.000 antikommunistischen Guerillas –, ist man zur Zeit gerade auf der Suche nach sowjetischen Waffenlagern. Der Ost-Geheimdienst KGB soll umfangreiche Sabotagemittel in Österreichs Erde verbuddelt haben, ein Überlaufer hat das dem deutschen Bundesnachrichtendienst verraten.

Außer einigen Politikern und der gutgläubigen österreichischen Bevölkerung hat also niemand an die Neutralität geglaubt. Trotzdem steht diese Variante von "Des Kaisers neue Kleider" einem Nato-Beitritt Österreichs angeblich noch immer im Weg. Wer nie daran geglaubt hat, waren die Freiheitlichen. Bereits in den 80er Jahren kratzte FP-Vordenker Andreas Mölzer am "Mythos Neutralität". Diese Kritik wurde von FP-Obmann Jörg Haider fortgesetzt. Auch der Klubobmann Ewald Stadler bezieht heute eindeutig Position: "Die Neutralität", so Stadler, "sei Schimäre und Lebenslüge zugleich, um den Begriff der österreichischen Nation zu füllen, weil man kein anderes Füllmaterial hatte." Sie sei der Versuch einer Antithese zum Deutschnationalismus der Ersten Republik gewesen. Im Konfliktfall allerdings hätte die Neutralität nichts genutzt, allerdings habe es andere Konsequenzen gegeben: "Um die Lebenslüge aufrechtzuhalten, wurde dann das Waffenexportgesetz beschlossen, das in der Folge der Wirtschaft schwer geschadet hat." Die neuesten Fakten dürften die Fiktion "Neutralität" nachhaltig untergraben. Hinfällig ist sie ohnehin schon.


 
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