© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/97 13. Juni 1997 |
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Pankraz, Louis Philippe und das Fallen der Blätter im Frühling von Günter Zehm Was dem einen sein Frühling, ist dem anderen sein Herbst. Das gilt sogar, wenn es sich nur um einen Scheinfrühling handelt, wie jetzt nach den Wahlen in England und Frankreich, da einige Linke euphorisch von einem Frühling des Sozialismus" schwärmen, von seiner europäischen Renaissance", seiner triumphalen Wiederkehr". Weder Frühling noch Renaissance stimmen; daß aber die geschlagenen Konservativen" oder Rechten" ihren Herbst erleben, daß bei denen sämtliche Blätter fallen, darunter auch die Feigenblätter, kann im Ernst niemand bestreiten. Der Fall der Feigenblätter offenbart schlagend, daß überhaupt nichts
Rechtes oder Konservatives mehr dran ist an diesen Rechten". Alles ist
geschrumpft oder längst abgefallen: die Treue zur Tradition, die Liebe zum Vaterland, die
Gottesfurcht, der Wille zur Differenz, zur aristokratischen Disziplin, zur eigenen
Identität. Statt dessen kann man einen komisch-geilen (globalen")
Wirtschaftsliberalismus besichtigen, wie ihm einst in Paris anno 1830 der
Bürgerkönig" Louis Philippe huldigte, die Birne von Neuilly", die
nur einen einzigen politischen Gedanken zu verkünden in der Lage war:
Enrichissez-vouz!", Bereichert euch, wo ihr nur könnt!" Die leidenschaftlichsten (und überzeugendsten) Liberalisten dieser Couleur sind zur Zeit die polnischen und die italienischen (Ex-)Kommunisten, weshalb sie ja auch, zeitgeistgemäß, in ihren jeweiligen Ländern die Regierung bilden. Tony Blair in England ist ein viel glaubwürdigerer Thatcherist", als es der toryhaft vertrottelte John Major je sein konnte. SPD-Schröder in Deutschland ist Helmut Kohl in Sachen Enrichissez-vous" zumindest ebenbürtig. Und Oberlehrer Jospin wird die neosozialistische Lektion ebenfalls schnell lernen oder er wird nötigenfalls durch einen stromlinienförmigeren ENA-Eierkopf abgelöst. M. Fabius in der Kulisse wartet schon. Dennoch kann man nicht sagen, daß die Konservativen", die Rechten" in der aktuellen Lage nicht gebraucht würden. Ihnen fällt die Aufgabe zu, die natürliche Mehrheit, die unter den Völkern gegen eine Politik des gleichmacherischen, antisozialen und antinationalen Enrichissez-vous" vorhanden ist, zu sabotieren und von der Macht fernzuhalten. Und das tun sie denn auch mit Hingabe. Es ist das einzige, was sie noch fertigbringen und was sie in den Augen der herrschenden linken Medien rechtfertigt. In Frankreich hätte eine patriotische, auf Identität und valeurs anciennes" gerichtete Rechte ohne weiters die Mehrheit erringen können; über fünfzehn Prozent FN-Wähler und an die dreißig Prozent Nichtwähler standen bereit, um die Gaullisten, wenn sie nur gewollt hätten, zu unterstützen. Aber diese wollten eben nicht, ja noch schlimmer: die ganze dubiose Aktion Chiracs mit den vorgezogenen Wahlen war von vornherein darauf abgestellt, just diese rechte Volksfront zu verhindern. Als sich nach der Wahlnacht viele französischen Kommentatoren über die Dummheit" Chiracs amüsierten, über sein Unternehmen Selbstmord", mit dem er nicht nur die rechte" Mehrheit in der Nationalversammlung verspielt, sondern auch das Totenglöcklein seiner eigenen Partei, der Neo-Gaullisten, in Gang gesetzt habe, so lag da, psychologisch gesehen, wohl ein Irrtum vor. Es war nicht Dummheit, sondern Todestrieb. Alles, was sich heute in West- und Mitteleuropa von den Medien als rechts" (im Unterschied zu rechtsextremistisch" oder rechtsradikal") titulieren läßt, ist von diesem Todestrieb befallen. Sie nagen nur noch an ihren eigenen Wurzeln. Schon an ihrer Sprache kann man das erkennen. Sie sagen nicht mehr Volk", wenn sie den politischen Souverän meinen, sondern nur noch Bevölkerung". Sie sagen nicht mehr Glaube, Liebe, Hoffnung", sondern nur noch Information, Kommunikation, Innovation". Sie haben voll den entfremdeten, technizistischen Jargon ihrer linken Gegner übernommen und sind sogar stolz darauf. Und genau wie ihre Gegner wüten sie gegen alles, was an den alten Werten festhält
oder sie sich, erneuert, zurückwünscht, mit dem selben verlogenen, heruntergekommenen
Vokabular wie die Linken: Faschismus", Ausländerfeindlichkeit",
Antidemokratismus", Stammtischmentalität" usw.. Sie haben kaum noch
Ahnung davon, was in den Seelen der Menschen vorgeht, und sie sind Pankraz glaubt
nicht, daß er sich da irrt unempfindlicher als der linke Durchschnittspolitiker
gegenüber den aktuellen Sehnsüchten nach Beständigkeit, Verläßlichkeit, Gediegenheit
des Lebens. Was die Personnagen betrifft, so wird wahrscheinlich kaum etwas von der alten Rechten" in die neue Opposition hinüberwachsen, in Frankreich und England nicht und schon gar nicht in Deutschland, wo die jungen Wilden" der CDU/CSU bereits heute überaus alt aussehen und zudem unter der dauernden Drohung stehen, eines Tages vom Verfassungsschutz beobachtet" zu werden. Da kann es schwerlich einen zweiten Frühling geben, nicht einmal unterm Feigenblatt, was aber eher gut ist für eine allgemeine politische Renaissance. |