© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Heinrich von Stephan: Vom Postschreiber zum Minister
Der Bismarck der Post
von Josef Schüsslburner

Die wenigsten Zeitgenossen werden mit dem Namen des vor hundert Jahren verstorbenen Heinrich von Stephan etwas verbinden. Leider fehlt dieser Name sogar in Standardwerken über die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, obwohl es sich bei ihm um den populärsten und einen der erfolgreichsten Minister im Deutschland des vorigen Jahrhunderts handelt. 27 Jahre stand Heinrich von Stephan der Reichspost und Telegraphenverwaltung vor. Deutsche Geschichtsschreibung über das 19. Jahrhundert, die seinen Namen nicht kennt, macht deutlich, daß sie nur noch unproduktiv der sogenannten „Bewältigung" dient (was könnte langfristig Hitler begünstigt haben?) und dabei angesichts der Diskussion über den „Standort Deutschland" den notwendigen Zweck verfehlt, darüber aufzuklären, wie der immense Aufschwung Deutschlands von einem Agrarland zu einem der führenden Industriestaaten der Welt zu erklären ist.

Es würde dann nämlich deutlich werden, daß es der schließlich zum Kaiserreich führende deutsche Nationalismus war, in dem die deutsche Kultur in ihrer Produktivität gewissermaßen zu sich selbst fand und der den bis dahin als romantisch und weltfremd belächelten Deutschen für die Moderne im positiven Sinne geeignet machte. Das aus dem militärischen Bereich abgeleitete Konzept der Auftragstaktik – der Delegation von Entscheidungen im Rahmen einer hierarchischen Struktur – beruhte auf Prinzipien, die sich auch für die Unternehmensführung als vorteilhaft erwiesen. Deutlich wurde dies erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, wo es mehr auf die Unternehmensorganisation und weniger wie noch zu Beginn des Jahrhunderts auf die zündende Idee und die Risikobereitschaft ankam (worauf es allerdings derzeit wieder ankommen würde). Als Leiter des zweitgrößten Unternehmens des Kaiserreichs repräsentierte der 1831 geborene, aus ärmlichen Verhältnissen stammende Stephan im Dienste der Staatsverwaltung den Typus des erfolgreichen kreativen deutschen Unternehmers.

Stephan begann im Jahr 1848 seine Laufbahn als Postschreiber beim Postamt Stolp (Bewältiger würden sagen: in Polen). Bereits 1866 war er mit der Aufhebung der Thurn und TaxisPost und ihrer Übernahme durch den preußischen Staat betraut. Im Krieg gegen Frankreich sorgte der an die Spitze der Norddeutschen Bundespost berufene Stephan erstmals im großen Stil für Feldpostverbindungen. Nach 1871 organisierte er federführend den Aufbau der Reichspost, wobei seine Position 1876 mit der Zusammenlegung der Reichspost und Telegraphenverwaltung aufgewertet wurde. 1880 ernannte ihn Kaiser Wilhelm I. zum Staatssekretär, was der Position eines (Reichs)Ministers gleichkam (formal gab es ja nach der Reichsverfassung nur einen Minister, den Reichskanzler). Wie zahlreiche erfolgreiche Unternehmer wurde Stephan in den Adelsstand erhoben und in das Preußische Herrenhaus berufen. Dieses vor allem sorgte dafür, daß Preußen und das Reich effektiv, das heißt wirtschaftlich verwaltet wurden.
Die Einnahmen aus der staatlichen Unternehmenstätigkeit und die Erträge der staatlichen Investitionen lagen zur Kaiserzeit erheblich über den Zinsausgaben, die für Staatsschulden zu zahlen waren. Das zur soliden Haushaltspolitik beitragende und zu geringer Steuerbelastung führende produktive Gegenspiel von Exekutive und Legislative ist dann mit dem Ende der konstitutionellen Monarchie ebenfalls zu Ende gegangen, und bis jetzt ist kein Mechanismus entdeckt worden, der im Rahmen der parlamentarischen Demokratie diese Konstellation wirklich zu ersetzen vermocht hätte. Vielleicht wäre dazu eine präsidiale Demokratie geeigneter, aber diese wird vom Verfassungsschutz (welcher es wissen muß, wie der obrigkeitsgläubige Deutsche meint) für verfassungsfeindlich erklärt. Staatsverschuldung, immense Steuerbelastung, dadurch bedingte Drosselung der privatwirtschaftlichen Tätigkeit, Gefährdung des Standortes Deutschland und möglicher Staatsbankrott sind die Folgen.

Auch als 1876 eine gewisse Abkehr von der bisherigen, auf liberalen Grundsätzen beruhenden Wirtschaftspolitik eintrat, verstand es Stephan, wirtschaftsliberale Elemente in der staatlichen Strukturpolitik zu verankern. Beim Bau neuer Posthäuser bediente er sich leasingähnlicher Finanzierungsmethoden. Auf Stephan geht die Erfindung der Postkarte zurück, womit er der Post gegenüber der privaten Konkurrenz (noch 1900 deckten in Berlin 78 Unternehmen 55 Prozent des Ortsbriefverkehrs ab) ein wichtiges Marktsegment erschloß. Im übrigen expandierte die Post auch im staatlichen Sektor, wie etwa durch die Übernahme der Reichsdruckerei 1879. Stephan weitete so seinen Zuständigkeitsbereich erheblich aus. Bismarck hat das während seiner Kanzlerschaft hingenommen. Er war eben auch ein hervorragender Behördenchef, der wußte, bei welchen Untergebenen „Insubordinationen" besser toleriert werden sollten. Postpolitisch und auch unter fiskalischen Gesichtspunkten entscheidend wurde schließlich doch die von zahlreichen politischen Kräften geforderte Monopolgesetzgebung, insbesondere das Gesetz über das Telegraphenwesen von 1892; es sollte der Bundespost lange Zeit die Verluste im Postzustelldienst ausgleichen.

Auf Initiative des Deutschen Reichs, das heißt auf Heinrich von Stephan, geht die Einberufung einer internationalen Konferenz zurück, die am 15. September 1874 in Bern den Weltpostverein aus der Taufe hob und damit ein multilaterales Regime des weltweiten Postverkehrs begründete. Im Unterschied zu heutigen internationalen Organisationen zeichnete sich diese Art von Staatenverein mit seinem technischen Büro durch seinen funktionalapolitischen Charakter aus.


 
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