© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Bundeskartellamt: Kabelhersteller verlieren nach mehr als fünfundneunzig Jahren ihr Traditionskartell
Schlafmützen unter sich im Wettbewerb
von Thomas Grönert

Wegen unerlaubter Preis- und Rabattabsprachen hat das Bundeskartellamt gegen 14 Hersteller, 23 Einzelpersonen, den Fachverband und ein Gemeinschaftsunternehmen der Branche bisher rechtskräftig Bußgelder in Höhe von insgesamt 265 Millionen DM verhängt. Das betroffene Kartell der Starkstromkabelproduzenten existierte wohl schon seit mehr als 95 Jahren, begründet in einer Zeit, in der Kartelle durchaus erlaubt waren. Nun brachte es der Lauf der Politik- und Wirtschaftsgeschichte jedoch mit sich, daß hierzulande aus gutem Grund seit 1958 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gilt und darin Kartelle verboten sind; § 1 Kartellgesetz: „Verträge, die Unternehmen … zu einem gemeinsamen Zweck schließen, … sind unwirksam, soweit sie geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse … durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen. …" Durch Preis- und Rabattabsprachen hat das Kartell nicht nur Marktanteile insgesamt, sondern auch für jeden einzelnen Kunden festgelegt. Fast die komplette Branche, die 1995 rund 1,3 Milliarden DM umsetzte, war an dem Kartell beteiligt. So renommierte Unternehmen wie die Siemens AG und Tochtergesellschaften des Alcatel-Konzerns verdonnerten die Berliner Wettbewerbshüter zu drastischen Bußgeldern, und bis auf eine Ausnahme akzeptierten auch alle Beteiligten die Strafen. Auch ein Gemeinschaftsunternehmen der Hersteller, das die Kartellbuchhaltung erledigte, soll mit über einer Million DM bestraft werden.

Jetzt beklagen die Kabelhersteller eine Strukturkrise, die durch stark gefallene Preise und mögliche Konkurse und Betriebsverlagerungen ins Ausland gekennzeichnet sein wird. Die Wettbewerbshüter kontern, daß unter dem Schutz des Kartells die Kartellierten notwendige Anpassungen unterließen und erst jetzt wirklichem Wettbewerb ausgesetzt seien. Die Berliner Behörde weist auch auf eine Mitschuld der Käufer der Kabelerzeugnisse hin. In einem „tiefen Schlaf", so Harald Lübbert, zuständiger Beschlußabteilungsvorsitzender des Kartellamts, hätten die Hauptabnehmer, vor allem Energieversorger und Stadtwerke, mit ihrem Status als Monopolisten die überteuerten Kabelpreise einfach auf ihre Kunden abwälzen können.

Der Fachverband „Kabel und isolierte Drähte" kritisierte die Bußgelder der Höhe nach; auf den ersten Blick wirken sie in ihrer Gesamtsumme auch tatsächlich enorm und Befürchtungen drohender Arbeitsplatzverluste durch die Nichtverkraftung der Bußgelder bei einigen Unternehmen scheinen nicht unrealistisch zu sein. Zu kurz gegriffen diese Betrachtung jedoch: Denn bei der Berechnung der Bußgeldhöhe legte das Bundeskartellamt den Umsatz der letzten drei Jahre zugrunde, weiter zurückliegende Wettbewerbsverstöße waren bereits verjährt. Fünf bis zehn Prozent der jeweiligen Umsätze ergaben dann die Betragshöhe für die Bußgeldbescheide. Nicht auszudenken, daß auch frühere Verstöße noch zu ahnden gewesen wären.


 
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