© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Blonder Alptraum
Kommentar
von Hans-Peter Rissmann

Vergangenes Jahr titelte die JUNGE FREIHEIT „Kohls blonder Alptraum": die Rede war von Edmund Stoiber, Ministerpräsident des Freistaates Bayern und mittlerweile realexistierender Schatten-Parteivorsitzender der CSU. Damals wurde auf dem CSU-Parteitag erstmals das zerrüttete Verhältnis zwischen dem amtierenden Vorsitzenden Waigel und dem sicheren Nachfolger Stoiber offensichtlich. Zu dem Zeitpunkt hatte Kohl seinen Wiederantritt noch nicht bekanntgegeben, und Stoiber konnte als stärkste Alternative zum Überkanzler gelten. Nach einer geheimen Absprache sollen sich Stoiber und Biedenkopf verabredet haben, am Tag X (Abtritt von Kohl) zu telefonieren, „und zwar sofort". Gemeinsam wollten sie entscheiden, wer Kohls Erbe antritt.

Inzwischen ist dieser Zug wohl abgefahren. Der kernige bayerische Ministerpräsident wird kaum noch die Chance erhalten, an einer Ablösung Kohls teilzuhaben. Der Punkt scheint überschritten, an dem ein Kandidatenwechsel für die Union noch verkraftbar gewesen wäre. Jetzt hat sich die Lage verkehrt: Nicht mehr Stoiber ist für Kohl ein Alptraum, sondern Kohl der Alptraum für Stoiber. Die CSU ist schließlich auch nur eine Parteiorganisation, die Posten und Ämter für altgediente Parteisoldaten zu sichern hat, – die in Bayern ein Heer von Mandatsträgern, also Besitzstandswahrern auf Landes- und Kommunalebene zu versorgen hat. Ihr ist es mittlerweile eher gleichgültig, ob die Kiste mit Kohl und Gerhardt in Bonn in die Binsen geht. Entscheidend ist – da behält Kohl historisch wahrlich recht – was „hinten raus kommt". Das ist für die CSU der Machterhalt im Freistaat Bayern bei den Landtagswahlen. Und Kohl steht ihr inzwischen dabei im Wege.

Das Finanzdesaster, das vom CSU-Vorsitzenden Waigel im Verein mit Kohl höchstpersönlich zu verantworten ist, wird der Wähler schon im kommenden Jahr bei der Landtagswahl zu würdigen wissen. Das weiß Stoiber. Und deshalb werden jetzt auch der ungeliebten Bonner Truppe der weißblauen Partei die Daumenschrauben angezogen: Durch das eisenharte Beharren auf den Stabilitätskriterien soll Waigels Kamikazeflug nach Maastricht gestoppt werden. Angesichts der französischen neosozialistischen Schaukelpolitik bedeutet dies: Der Euro platzt, und Waigel wird einen Kopf kürzer gemacht. Kohl tritt ab, wir bekommen eine neue Regierung unter Tony Schröder oder Lionel Lafontaine. Und Stoiber wird versuchen, Bayern als Piemont und letzte Bastion der Union zu halten. Kein Wunder, daß die Junge Union in Bayern auf ihrem Landestag Waigel höflich begrüßte, Stoiber aber abgöttisch feierte. Zukunft hat nur noch letzterer.


 
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