© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Münchhausens Erben
Lockerungsübungen
von Karl Heinzen

Die Bundesrepublik ist längst ihrem Kindesalter entwachsen, in dem finanzpolitische Überraschungen noch ernsthafte Regierungskrisen auslösten. In die Situation von 1966, als die FDP anläßlich einer Peanuts-Unterdeckung des Haushaltes aus der Koalition ausschied, kann man sich nicht mehr so leicht hineindenken. Das politische Bewußtsein ist gereift: Es zählen weniger großspurige Grundsätze, die ohne Blick für das Ganze stur vertreten werden. Im Vordergrund steht das Bemühen, sich nicht der Regierungsverantwortung zu entziehen. Die Attacke von Theo Waigel auf die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank ist daher weder erstaunlich noch verwerflich: Sie ist Ausweis einer Politik, die die Selbstfesselung durch Prinzipien zu sprengen versucht.

Sie ist aber auch noch mehr: Sie dokumentiert die feste Absicht, notfalls die Gründe erst noch zu schaffen, die den Euro sinnvoll machen. „Wird die Europäische Zentralbank so unabhängig wie die Bundesbank?" Diese Frage implizierte bislang immer, daß den Frankfurter Währungshütern eine Vorbildfunktion zukäme. Hier kann dank Theo Waigel Entwarnung gegeben werden. Er hat klargestellt, daß die Unabhängigkeit der deutschen Notenbank nicht mehr so aufgefaßt werden kann, daß sie sich Wünschen der Bundesregierung versagt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, daß es sich bei ihr um ein Auslaufmodell handelt und schafft das Vertrauen in die Europäische Zentralbank der Zukunft, in die man kaum mehr wird hineinregieren können: Die Regierungen der Partnerländer dürften schließlich noch schwerer unter einen Hut zu bekommen sein als die Bonner Koalitionsparteien.

Es ist unverkennbar, daß der Euro bereits seine eigene Logik geschaffen hat, bevor er überhaupt eingeführt ist. So sind zum Beispiel auch die Maastricht-Kriterien in einem neuen Licht zu sehen: Sie lassen sich in einem ausreichendem Maß manipulieren und so großzügig, daß sie zur Entscheidungsfindung, wer nun zur Währungsunion zählen darf, eigentlich entbehrt werden können. Gleichwohl sind sie so plausibel, daß sie es verdienten, die Argumentation umzudrehen: Ohne die Währungsunion werden die Maastrichter Kriterien nicht zu erreichen sein. Wer den Euro auf die lange Bank schiebt, verhindert also die erfolgreiche Konsolidierung der Staatsfinanzen. Und er verhindert, daß die Gemeinschaftswährung die Probleme lösen kann, die erst durch Maastricht möglich wurden. Ein Zurück zum alten Währungspluralismus wird es ohne Krisen größeren Stils nicht geben – dafür ist ausreichend gesorgt. Der Anreiz, sich gegen die Währungsunion zu stellen, ist gering. Ob mit oder ohne Euro: Die Risiken sind unwägbar. Das Verdienst, uns in diese Situation hineinmanövriert zu haben, kommt einzig und allein der Bundesregierung zu. Es ist ihr gutes Recht, daß man sie in der Verantwortung dafür beläßt.


 
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