© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
EU-Gipfel: Beschäftigungsplan widerpricht Stabilitätspakt
War Kohl bekifft?
von Bernd-Thomas Ramb

Frankreichs Kunst der Diplomatie ist wie immer exzellent. Von dieser Tradition weicht auch eine sozialistisch-kommunistische Regierung nicht ab. Die scheinbare Niederlage bei der Einbindung eines Beschäftigungsprogramms in den bereits abgeschlossenen Stabilitätspakt wird aus der Sicht der langfristigen Strategie, staatliche Beschäftigungsmaßnahmen zum Standardrepertoire der EU-Bürokratie zu erheben, zur Keimzelle des Triumphs eurosozialistischer Politik.

Waigels Zufriedenheit über die Tatsache, daß es gelungen sei, den Dubliner Entwurf des Stabilitätspaktes unverändert zum Beschluß vorzulegen und den Beschäftigungsaspekt in den Anhang zu verbannen, ist dünnlippig. Erstens ist der Dubliner Stabilitätspakt "nicht das Papier wert, auf dem er geschrieben wurde" (Manfred Brunner). Die Lust zum Defizit wird durch den laschen Bußgeldkatalog nicht geschmälert, zumal der nationalen Zwangspfändung Grenzen gesetzt sind.

Zweitens ist das taktische Nachgeben Frankreichs durch die Akzeptanz eines Einstiegs in die eurostaatliche Beschäftigungspolitik teuer bezahlt worden. Der Beschluß, daß die entsprechenden Maßnahmen (zunächst) keine zusätzlichen Haushaltsmittel (der EU) erfordern dürfen und (vorerst) der Kompetenz Brüssels entzogen sind, ist ebenso sekundär wie umstößlich.

Die Verpflichtung zu einer Sonderkonferenz über beschäftigungspolitische Schritte der EU-Staaten im Oktober dieses Jahres ist nur die zeitliche Zwangsjacke und das Ersuchen an die Europäischen Investitionsbank (EIB), die Förderung der mit Spitzentechnologie befaßten mittelständischen Unternehmen zu intensivieren, nicht mehr als "peanuts" zu bewerten.

Der eigentliche Knackpunkt des Kompromisses ist das Aufschnüren des Maastricht-Vertrages, um ein Beschäftigungskapitel einzubinden. Jegliches Antasten des Maastricht-Bündels war von Bonn bislang mit dem Öffnen der Büchse der Pandora gleichgesetzt und zum absoluten Tabu erhoben worden. Bonn gerät nun in Erklärungsnot.

Die Beteuerung, daß die Beschäftigungspolitk über eine Selbstverpflichtung der Staaten zur nationalen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht hinaus gehen wolle, überzeugt nicht. Welchen Sinn macht dann die ebenfalls beschlossene Verpflichtung zu einer Eu-europäischen Koordination staatlicher Beschäftigungsmaßnahmen? Etwa daß Deutschland der französischen Regierung eine staatlich finanzierte Beschäftigungspolitik in Frankreich verbieten kann?

Entscheidend fatale Konsequenz des Beschäftigungsstreits ist jedoch die nun erfolgte EU-europäische Sanktionierung der wirtschaftspolitischen Verstrickung von Geldstabilität und Beschäftigung. Der Ruf nach steinzeit-keynesianischer Wirtschaftspolitik wird zwangsläufig folgen – mit einer Zielsetzung, die Altbundeskanzler Schmidt einmal formulierte: "Fünf Prozent Inflation sind mir lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit!" Die Erfahrung, daß er mit dieser Politik sowohl Inflation als auch Arbeitslosigkeit bewirkte, scheint in Deutschland vergessen.

Der schuldige Nichtverhinderer der neuen europäischen Fehlentwicklung ist der Bundeskanzler. Kohl will den Euro auf Teufel komm raus. Nun ist er bereit, dafür selbst beschäftigungsstaatliche Kreide zu fressen. Sein Kalkül, das mit dem Virus Eurosozialismus infizierte Europa mit dem Euro besser heilen zu können, ist mit der Aufnahme der staatlichen Beschäftigungspolitik in den Maastricht-Vertrag noch weniger nachvollziehbar – wenn es überhaupt besteht.


 
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