© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
EU-Gipfel von Amsterdam: Eine Analyse der folgenschweren Entscheidungen
Der Euro wird ein Weichei
von Hans A. Bernecker

Die Entscheidung war längst gefallen, abgesegnet wurde sie aber erst am 16. Juni in Amsterdam: Der Euro wird nicht hart, kann es gar nicht werden und auch nicht sein. Er wird weich werden, wenn nicht sogar sehr weich. Die Story dieses europäischen Dramas wird sich dereinst so lesen und es lohnt sich, die Umrisse schon jetzt zu skizzieren:

Die Maastricht-Kriterien von 1991/92 wurden verabschiedet unter dem Gesichtspunkt des politischen Willens, aber nicht unter dem Kriterium, was äkonomisch machbar ist. Unzweifelhaft bemühten sich indes alle in Frage stehenden Länder um die Erreichung dieser Kriterien, indem sie die neue Staatsverschuldung zu reduzieren versuchten, um die Gesamtverschuldung nicht über das Maß von 60 Prozent hinaus steigen zu lasssen.

1995 wurde indes sichtbar, daß dies nicht erreichbar sein wird, jedenfalls nicht mit den üblichen Methoden und der Praxis der Staatsfinanzierung. Nach ersten Vorgesprächen in Verona wurde deshalb im letzten Jahr in Madrid schon sehr klar: Keines der gräßeren Länder kann diesen Kriterien genügen, ohne Buchhaltungstricks anzuwenden oder die Haushaltsgestaltung über Gebühr zu strapazieren. Immerhin:

Frankreichwahl ist Wende- und Schlußpunkt zugleich Waigel gelang es in Madrid, einen sogenannten "Stabilitätspakt" durchzusetzen, mit dem sichergestellt werden sollte, daß fernerhin seriäs gearbeitet wird und mit Sanktionen jene zu bestrafen wären, die durch manipulierte oder politisch nicht haltbare Methoden die Stabilitätspolitik unterlaufen.

Die Festschreibung solcher Stabilitätskriterien mißlang bereits in Dublin im Herbst vergangenen Jahres. Stabilität ja, aber nur als Absichtserklärung und nicht als verbindliche und mithin "einklagbarer" Tatbestand, dem sich jeder Staat unterziehen mußte. Mithin war klar: Eine echte Stabilitätspolitik war bereits nicht mehr zu praktizieren. Dennoch hielten alle Politiker an dieser Version fest É bis zum franzäsischen Wahltag.

Die franzäsische Wahl ist ein Wendepunkt zum einen und der Schlußpunkt zum anderen. Paris erkannte sehr schnell, daß die innenpolitischen Erfordernisse wichtiger sind als der außenpolitische Gleichschritt mit dem europäischen Partner. Wer 12,3 Prozent Arbeitslosenquote aufweist, kann vernünftigerweise auch nicht anders handeln. Damit war klar: Stabilitätspolitik in Europa funktioniert nicht bei hoher Arbeitslosigkeit, die für alle betroffenen Länder zusammen bei über 14 Prozent liegt. Folge: Die Rollen sind seit Amsterdam neu verteilt. Beschäftigung und Konjunkturankurbelung haben Priorität vor der Stabilität. Eine solche Politik macht durchaus Sinn, bedingt aber eine zwingende Kausalität:

1. Beschäftigungsprogramme funktionieren nur über äffentliche Auftragsvergabe. Diese ist entweder verdeckt oder offen über die Haushalte darzustellen. Da die Steuereinnahmen eher sinken oder nicht schnell genug wachsen, bedeutet dies Ausweitung der äffentlichen Defizite. Abgesehen davon, daß die entsprechenden Maastricht-Kriterien nicht einzuhalten sind, ist die Inanspruchnahme der Kapitalmärkte ganz sicher.

Boomender Export, kein neuer Arbeitsplatz

2. Steuermehreinnahmen/Steuererhähungen erscheinen obsolet. Sie wären auch kontraproduktiv. Verbleibt die Frage von Sondersparaktionen auf der Ausgabenseite. Hierüber ist hinlänglich gestritten worden, da jedoch zwischen 70 und 82 Prozent in den europäischen Haushalten Leistungsgesetze als Grundlage haben, sind massive Kürzungen nur über Parlamentsbeschlüsse mäglich. Diese bedingen Mehrheiten, die offensichtlich nicht zu erreichen sind.

3. Eine Ausweitung der Kredite ist volkswirtschaftlich verantwortlich, die Zinslast im Moment sogar verträglich. Nach Keynes wäre es also auch richtig, über eben diese Ausweitung Arbeitsplätze und mithin Nachfrage zu schaffen. Die Liquidität der Kapitalmärkte würde es sogar erlauben, erhebliche Kapitalbeträge aufnehmen zu kännen, ohne die Zinspolitik zu ändern. Es ist sogar mäglich, daß die jeweiligen Zentralbanken diese Finanzierung von Konjunkturprogrammen mit einer Politik billigen Geldes unterstützen. Das wiederum wird von den niedrigen Inflationsraten flankiert.

4. Die franzäsische Vorstellung ist richtig, mit solchen Maßnahmen eine deutliche Beschleunigung der europäischen Konjunktur zu erreichen. Wie immer mit kurzer Wirkung, aber langen Folgen: Denn der Strickfehler dieser Konstellation zeigt sich an der Währungsfront: Nicht der Dollar steigt, sondern die Europäer werten permanent ab. Darin haben Frankreich und Italien besondere Übung, weil sie es seit 1945 permanent probieren. Das nennt man eine Abwertungskonjunktur, mit dem infolge eines abnehmenden Außenwertes die Exporte stimuliert werden. Bezogen auf Deutschland:

5. Deutschland probiert erstmals das gleiche. Und das hat langfristige Folgen: Die Exporte boomen, weil sie permanent billiger werden. Die Firmen verdienen mehr Geld, ohne etwas dafür zu tun. Die notwendigen Investitionen zur Steigerung der Produktivität werden unterlassen. Das klassische Ergebnis von "windfall-profits". Unterbleiben die Investitionen, weden keine Arbeitsplätze geschaffen, was bereits seit 15 Monaten sichtbar ist: Boomender Export, lahmende Investitionen und kein neuer Arbeitsplatz. Der so wichtige Beschäftigungseffekt fällt also aus.

Die Rechnung wird erst in einigen Jahren sichtbar

6. Der politische Streit ist spätestens 1999 sicher. Tendenziell neigt Deutschland zu stabiler Geldpolitik, die die anderen zwar meinen, aber nachweislich nie praktizierten. Frankreich seit Ludwig XIV. nicht, Italien noch nie und England orientiert sich in seiner Konjunkturpolitik seit 400 Jahren ganz anders. In keinem Land hat zum Beispiel die Vorlage des Haushaltes eine so gravierende Lenkungsfunktion für die Wirtschaft wie in London.

Der Euro wird also ein Weichei. Die relativ Starken werden die relativ Schwachen finanzieren müssen. Sei es verdeckt oder offen. Die Drehscheibe wird dabei nicht immer und nicht zwangsweise Brüssel sein. Gemeinsames Geld wirkt dabei in einer Volkswirtschaft wie das fließende Blut in einem menschlichen Kärper. So wie es in alle Zellen dringt und diese ernährt oder beschädigt, so mindert sich der Wert des Geldes in gleichem Umfang, wie schwache Volkswirtschaften durch starke gestützt werden müssen. Die Rechnung wird freilich erst in den nächsten Jahren sichtbar werden - nach vorsichtigen Schätzungen nicht vor zehn Jahren.


 
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