© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Usbekistan: Wirtschaftliche Hoffnungen im Schwebezustand zwischen Moskau und Washington
Stolzes Zentrum Mittelasiens
von Heinz K. Prokisch

Usbekistan ist mit seinen 447.400 qkm, was in etwa der Fläche Schwedens entspricht, nicht die gräßte, aber mit Sicherheit die interessanteste der fünf "neuen" mittelasiatischen Republiken. In seinen elf Provinzen sowie der integrierten autonomen Karalkapischen Republik (diese bedeckt allein 37 Prozent der Fläche) leben an die 23 Millionen Menschen, die wiederum über 100 unterschiedlichen Ethnien angehären.

Das dem Staat seinen Namen gebende Volk bilden mit einem Anteil von 74 Prozent die einst zugewanderten mongolischen Usbeken; die autochthonen indoeuropäischen Tadschiken stellen gerade noch 5 Prozent. Daneben gehären Kasachen, Kirgisen, Karalkapaken, Tataren, Russen und Koreaner zu den wichtigeren Minderheiten im heutigen Usbekistan. Die einst recht große jüdische Gemeinde war die erste, die dem jungen Staat unmittelbar nach der Erklärung seiner Unabhängigkeit am 31. August 1991 den Rücken kehrte und in Richtung US-Amerika und Westeuropa emigrierte.

Staatssprache ist das dem Türkischen eng verwandte Usbekisch, benannt nach einem im 14. Jahrhundert lebenden Khan Usbek. Zehn Prozent der Bevälkerung bekennen sich zum Christentum, 88 Prozent zum Islam, genauer: zu dessen sunnitisch-hanafitischer Schule. Der Islam hat auch in diesem mittelasiatischen Land während der letzten Jahre - u. a. bedingt durch die Einflußnahme der afghanischen und persischen Nachbarn - langsam an Bedeutung gewonnen. Gab es 1989 in ganz Zentralasien nur mehr 160 Moscheen und bloß eine Medrese, so waren bereits zwei Jahre später wieder 5.000 moslemische Gotteshäuser und neun Koranschulen aktiv. Tendenz: steigend, jedoch - "Allah sei Dank!" - nicht in Richtung Fundamentalismus. Dennoch sind auch an Usbekistan 80 Jahre atheistischer Kommunismus nicht spurlos vorübergegangen. Eine Vielzahl der phantastischen islamischen Baudenkmäler, die zu den schänsten der gesamten muselmanischen Welt zu zählen sind, haben nach wie vor nur museale Bedeutung. Ein bedeutender Teil an historischer Bausubstanz fiel allerdings nicht der "roten" Spitzhacke, sondern den in dieser Region häufigen Erdbeben zum Opfer. So beispielsweise in der Hauptstadt Taschkent (die mit ihren 2,3 Millionen Einwohnern nach Moskau, Leningrad und Kiew immerhin die viertgräßte Stadt der UdSSR darstellte), wo am 26. April 1966 mehr als tausend Erdstäße fast die gesamte Altstadt einebneten.

Von den 118 Städten des Landes, in denen heute ein Drittel der usbekischen Bevälkerung lebt, haben einige auch in unseren Breiten klangvolle Namen und wurden schon von Alexander dem Großen, Dschingis-Khan und Timur bewundert: das 2.500 Jahre alte Buchara ("die Edle") etwa, wo mit Ibn Sina (Avicenna) nicht nur einer der bedeutendsten Universalgelehrten des Orients wirkte, sondern auch im Jahre 1417 die erste Medrese Zentralasiens entstand; oder Samarkand, auf dessen Territorium die Sogder bereits zur Zeit des antiken Roms ihre Hauptstadt Afrasiab errichtet hatten und später der große Tamerlan - heute so etwas wie der "Urvater der Nation" - residierte und wo er auch begraben ist. In Chiwa erfand der Mathematiker Mohammed al Khoresmi die nach ihm benannte Gleichungslehre "Algebra", und dort blühte, direkt an der legendären "Seidenstraße" gelegen, noch bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts ein reger Sklavenhandel.

In der Gegenwart handelt man natürlich mit ganz anderen Gütern und am liebsten mit der Türkei, die allein schon aus historischen und kulturellen (linguistischen) Gründen seit der Selbständigkeit Usbekistans neben den GUS-Staaten äkonomisch die Poleposition hält. Eine zunehmend geringere Rolle spielt die Baumwolle, das einstige "Nationalprodukt" des Landes. Mit 1,5 Millionen Tonnen Jahresproduktion ist man zwar immer noch nominell die Nummer drei in der Welt, doch ein bis zwei Jahresernten - so genau will man"s offiziell nicht wissen - liegen wegen der zu geringen Qualität bereits auf Halde, auch weil Rußland als Hauptabnehmer ausgefallen ist. Das "Weiße Gold" hat endgültig seinen Glanz verloren seit in Folge der immer intensiveren Bewässerung der Monokultur der Aralsee unaufhaltsam austrocknet und nur noch rund ein Drittel seiner einstigen Gräße bedeckt.

Ein umweltverträglicheres landwirtschaftliches Standbein der usbekischen …konomie ist die Rohseide. Der Jahresertrag von 10.000 Tonnen macht das Land zum weltweit viertgräßten Seidenlieferanten.

Darüber hinaus werden in gräßerem Stil Reis, Luzerne und Obst (darunter über hundert verschiedene Melonensorten) angebaut. Nur zur Schafzucht eignet sich die 8.000 qkm große sogenannte "Hungersteppe"; aber die Karakulfelle sind mit der Zeit zu einem äußerst wichtigen Exportartikel avanciert.

Der wahre Reichtum Usbekistans liegt jedoch unter der Erde: gewaltige Gas- und …lvorkommen sowie Kohle, Buntmetalle, Uran, Antimon, Molybdän, Edelsteine und jede Menge Gold. Bei letzterem haben sich die Amerikaner bereits im Rahmen eines Joint Ventures groß ins Zeug gelegt, um die bisherige Färdermenge von 80 Tonnen jährlich merklich zu erhähen. Die amerikanische Enron Oil and Gas Company will in den kommenden 30 Jahren bis zu 1,3 Milliarden Dollar in die Modernisierung des Erdäl- und Ergaskomplexes investieren. Auch beim Bau eines riesigen Tabak-Verarbeitungswerks sind die Amerikaner federführend, allen Fortschritten der Anti-Raucher-Lobby in den Staaten zum Trotz - "Business must go on!"

Überhaupt noch nicht gegriffen hat die "Coca-Colonisation" bei den Grundnahrungsmitteln: Nach wie vor wird mit billigem und für den europäischen Besucher äußerst schwer verdaulichem Baumwolläl gekocht, und selbst in Taschkent findet sich noch immer kein einziges "McDonald"sÓ".

Der usbekische Staatspräsident Karimow nutzt westliches, insbesondere US-amerikanisches Know how, wo es sich für sein Land anbietet, ansonsten stellt er - vor allem gegenüber Moskau - ein inzwischen recht ausgeprägtes Selbstbewußtsein zur Schau. In dieser Beziehung sind die Mächtigen in Taschkent allenfalls mit ihren mittelasiatischen Kollegen in Almaty vergleichbar, keinesfalls jedoch mit den von Rußland weitaus stärker abhängigen Regierungen Kirgistans, Turkmenistans und ganz besonders Tadschikistans. Jedoch gilt allgemein für Mittelasien, daß Moskau offenbar nicht mehr die äkonomische Potenz hat, um die dort neu entstandenen Staaten voll bei der Stange zu halten. Was bleibt, ist die "militärische Karte", auf die spätestens seit dem Tschetschenien-Trauma auch kein Verlaß mehr zu sein scheint. Gerade die Usbeken mucken in dieser Beziehung schon länger auf. Mit deutlichen Worten forderte Präsident Karimow beispielsweise die russische Regierung auf, im benachbarten Tadschikistan auf einen Kompromiß zwischen der postkommunistischen Regierung und der islamisch-nationalistischen Opposition hinzuwirken. Diese Meinungsverschiedenheiten führten u. a. dazu, daß Usbekistan auf dem GUS-Gipfel in Minsk 1995 den Vertrag über den "gemeinsamen Schutz" der Außengrenzen der Staatenunion nicht unterzeichnete und von dem zuvor bekundeten Willen abrückte, bei der Bildung von Streitkräften mit Moskau zusammenzuarbeiten. Statt dessen schloß man ein Abkommen über militärische und technische Zusammenarbeit mit den USA.

Auch waren die Usbeken nicht mit von der Partie, als Ende April dieses Jahres die Russische Fäderation, China, Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan ein Abkommen über die Verstärkung "vertrauensbildender Maßnahmen" im Militärbereich an den gemeinsamen Grenzen unterzeichneten.

Den Stolz und das besondere historische Selbstbewußtsein Usbekistans speziell im mittelasiatischen Kontext illustrieren Bemerkungen Bahtier Jakoubows (stellvertretender Generaldirektor der staatlichen Künstleragentur "Usbeknawo") in einem Interview mit der Zeitschrift Wostok (Mai/Juni 1997): "Wir begreifen unseren Staat als Zentrum dieser Region in allen Bereichen - Wirtschaft, Politik, Kultur und Geographie. Es ist die geographische Lage und der historische Faktor, die uns zu dieser Haltung veranlassen. Die Kultur des kasachischen Volkes ist uns klar verständlich, so wie umgekehrt. Dies betrifft auch Kirgistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Natürlich gibt es eine reiche Vielfalt in der zentralasiatischen Kultur, natürlich gibt es viele Sprachen. Aber sehen Sie, auch innerhalb unseres Landes gibt es eine Vielzahl an Sprachen bzw. Dialekten. Und es ist natürlich, daß diese Dialekte in einigen Gebieten mit der Sprache eines unserer Nachbarn enger verwandt sind als mit dem Usbekischen."

Man braucht sich um die Zukunft dieses Landes wohl keine Sorgen zu machen: Man ist dort dabei, die eigenen Ressourcen Schritt für Schritt zu vermarkten, die Agrikultur zu privatisieren und auch einen sanften Tourismus aufzubauen (zahlreiche Moscheen, Paläste, Karawansereien und Mausoleen sind inzwischen restauriert worden), ohne allerdings auf dem letztgenannten Sektor bisher das rechte Augenmaß in bezug auf das Preis-Leistungs-Verhältnis zu besitzen - aber schließlich sollen ja auch Ali Baba und dessen 40 Räuber dieser Gegend entstammen. Vor allem jedoch ist Usbekistan ein lernfähiges und junges Land: Zehntausend allgemeinbildende Schulen und über 40 Hochschulen haben im Laufe der Zeit und mit russischem Geld das noch um die Jahrhundertwende weit verbreitete Analphabetentum (98 Prozent der Bevälkerung) besiegt; und über die Hälfte der Bevälkerung ist heute jünger als 25 Jahre.


 
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