© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Sandburgen: Wirtschaftliche Triebkräfte in der EU
Konzentrationsboom

Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich in Deutschland beim Thema Europa eine "offizielle Meinung" herausgebildet. Der Grundtenor dieser Meinung lautet: Deutschland ist der gräßte Nutznießer der Europäischen Union (EU), der Nationalstaat ist überholt und hat keine Zukunft mehr. Die Chefs deutscher Großkonzerne und Banken haben von Beginn an in das offizielle Jubelkonzert der Politiker mit eingestimmt. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum?

Zunächst einmal ist es eine Tatsache, daß ein Großteil der deutschen Führungspersänlichkeiten Opportunisten sind. Es ist ein offenes Geheimnis, daß man ab einer gewissen Position, nicht mehr alles aussprechen darf, was man denkt. So ist es denn auch schwer vorstellbar, daß beispielsweise der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz öffentlich erklärt: Ich bin gegen eine weitere europäische Integration und die Abschaffung der Deutschen Mark. Eingedenk dieser Tatsache läßt sich bei diesen Personen also nie mit absoluter Sicherheit klären, ob sie wirklich glauben, was sie sagen.

Das vergemeinschaftete Europa war von Anfang an ein Europa der Großkonzerne. Angefangen von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) bis hin zur EU flossen und fließen Subventionen fast ausschließlich an Großbetriebe. Und wenn es nach dem Willen der EU geht, wird dies auch so bleiben.

Auch vom europäischen Binnenmarkt profitieren in erster Linie Großbetriebe. Aufgrund der seit Inkrafttreten des Binnenmarktes bestehenden vollständigen Niederlassungsfreiheit verlagern vor allem Großkonzerne ihre Produktion in die Länder, die auf längere Sicht die niedrigsten Arbeitskosten bieten. Eine Facharbeiterstunde kostet zum Beispiel in Deutschland 35,- DM, in Portugal dagegen 5,60 DM. Für einen Konzern ist es egal, ob er in Portugal oder in Deutschland produziert. Er operiert ohnehin europaweit. Er verlagert deshalb seine Produktion aus den Hochkostenländern in die Niedrigkostenländer.

Dies ist jedoch nicht nur ein Kosten- und Gewinnvorteil für den Konzern selbst, sondern auch ein Beschäftigungsvorteil, Einkommenszuwachs und überproportionaler Wirtschaftsaufschwung für die kostengünstigen Länder, die den Zuzug der Europakonzerne bekommen. Wenn also beispielsweise VW um das Jahr 2000 mehr PKWs produziert, diese aber nicht mehr in Deutschland, sondern in Spanien, Portugal oder Griechenland, dann bedeutet dies für die neuen Heimatländer der VW-Produktion ein überproportionales Wachstum, für Deutschland aber ein entsprechender Wachstumsverlust, obwohl insgesamt daraus vielleicht rechnerisch ein Vorteil in der EU entsteht. Dieser Anpassungsprozeß wird sich erst dann wieder ausgleichen, wenn auch die Lähne in den jetzigen Niedriglohnländern einmal auf unser Niveau angewachsen sein werden. Dies wird aber wohl erst nach der Jahrtausendwende der Fall sein.

So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß insbesondere Großbetriebe das grenzenlose Europa wollen. Großkonzerne denken nicht in nationalstaatlichen Kategorien. Für sie zählt alleine der unternehmerische Gewinn.

Die Mehrheit der deutschen Bevälkerung will Europa. Ein Europa, das aufgebaut ist auf gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Vertrauen der europäischen Välker untereinander. Ein Europa, das dem wirtschaftlichen Nutzen aller europäischen Nationen dient und nicht nur den Interessen einzelner Gruppen.

Das Streben nach wirtschaftlichem Profit, politischer Gleichmacherei und zentralistischem Regelungswahn sind die Triebkräfte der real-existierenden EU des Jahres 1997. Europa befindet sich auf dem falschen Weg. Es ist Zeit umzukehren.


 
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