© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Ehre dem Verbraucher!
Lockerungsübungen
von Karl Heinzen

Nahezu 8 Millionen Menschen sollen es sein, die in Deutschland ihre "Freizeit" für Tätigkeiten aufbringen, die sie als ehrenamtlich ausgeben. Berechnungen zufolge ist von 3 Milliarden Arbeitsstunden auszugehen, die auf diese Weise Jahr für Jahr am Markt vorbeigeschleust werden. Eigentlich müßten die Verantwortlichen in der Politik aufschreien ob dieser Arbeitsplatzverhinderung gigantischsten Ausmaßes, ob dieses unsolidarischen Verhaltens der Beschäftigung zum Dumpinglohn des Nulltarifes. Eigentlich müßten sie darüber in Sorge sein, daß in einer auf Vernunft begründeten Ordnung der pure Irrationalismus so breit verankert ist, die gefühlsselige Beschwärung eines vorgeblichen Gemeinsinns mit allen bekannten Mäglichkeiten des Mißbrauchs.

Stattdessen schweigen sie nicht bloß zu diesem Atavismus, sondern färdern ihn gestenreich. Antje Vollmer zum Beispiel ließ es sich nicht nehmen, am vergangenen Montag "verschiedene Initiativen, Gruppen und Verbände, deren Mitglieder auf unkonventionelle und selbständige Weise sozial tätig geworden sind", durch einen Empfang zu ehren. Daraus spricht nicht nur die Freude, wenigstens indirekt an einer guten Tat teilhaben zu dürfen, sondern vor allem ein Kalkül. Ein durchsichtiges: Je mehr sich der Staat auf seine eigentlichen Aufgaben, die Entsoldung der Beamten und die Verzinsung der Staatsschuld besinnt, desto mehr muß er darauf hoffen, daß sich in der Gesellschaft genügend Selbstvergessene befinden, die für ihn in die Bresche springen. Dafür wäre man wohl sogar bereit, ein klein wenig mehr Gemeinwohlideologie zu konzedieren.

Doch wie immer wird hier die Rechnung ohne den Bürger gemacht: Auch Ehrenamtliche sind heute wählerisch, ihr Engagement läßt nach, wenn der Spaß zur Pflicht wird. Und sie wissen, daß sie sich für ein Lob nichts kaufen kännen: Der Trend geht zum bezahlten Ehrenamt, zu Aufwandsentschädigungen, die nicht nur den Aufwand entschädigen. Die Mehrheit der Bevälkerung kann es nur begrüßen, wenn die Gemeinwohl-Narzisten solcherart von ihrem hohen Roß heruntersteigen. Ist es denn nicht viel nützlicher, einen ausgedehnten Einkaufsbummel zu unternehmen als in der Vorstandssitzung irgendeines der zahllosen Jugendpflegevereine Protokoll zu führen?

Wer schafft denn Umsätze, sichert betriebliche, gerade auch mittelständische Existenzen und Arbeitsplätze, läßt das Steueraufkommen wachsen? Doch wohl nicht der Jugendgruppen-Betreuer, der Naturschützer oder der Sportfunktionär, sondern einzig und allein der Verbraucher. Er ist es, der nicht nur seine Freizeit opfert, sondern auch sein Vermägen einsetzt, um das Gemeinwohl zu färdern. Ihn anzuerkennen und zu ehren und nicht all diejenigen, die bloß ihr persänliches Steckenpferd reiten - das wäre die Aufgabe einer Politik, die noch an ihre eigenen Zwecke glaubt.


 
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