© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Libanon: Kritik an Bonner Plänen für eine Rückkehr palastinensischer Flüchtlinge
Alltag im Pulverfaß Nahost
von Ernst Fröhlich und Petra Schirren

Offiziell schweigen im Libanon seit Beginn der 90er Jahre die Waffen. Dies hat die deutsche Bundesregierung zum Anlaß genommen, um, wie die taz berichtete, mit Beirut über die Rückkehr von 10.000 bis 15.000 palästinensischen Asylanten noch in diesem Sommer zu verhandeln. Dem Libanon sollen im Falle der Zustimmung Kredite gewährt werden.

Linke Gruppierungen und ein Komitee "Flüchtlingskinder im Libanon" haben öffentlich gegen die Pläne protestiert. Dabei wies man auf die große Armut im Zedernland hin sowie auf die Tatsache, daß die Betroffenen zumeist Staatenlose sind, deren Vorfahren während des arabisch-israelischen Krieges von 1948 in das Nachbarland gekommen waren. Dies dürfte sie veranlassen, genau in jene Flüchtlingslager im Süden des Landes sowie im Südteil der Hauptstadt Beirut zurückzukehren, die als Hochburgen extremistischer anti-israelischer Bewegungen gelten. Tatsächlich haben die Kritiker der "Abschiebe-Pläne" recht, wenn sie darauf hinweisen, daß es eine höchst oberflächliche Perspektive ist, wenn man in bezug auf den Libanon von einer Normalisierung spricht.

Von Zeit zu Zeit geistern auch durch westliche Medien die Berichte über Kampfgruppen der schiitischen Hisbollah, die Dörfer im nordisraelischen Galiläa angreifen, woraufhin israelische Einheiten stets mit Vergeltungsschlägen auf "Terroristendörfer" im Südlibanon antworten. Dies wiederum hat Racheakte der Hisbollah für gefallene Zivilisten zur Folge. Was man jedoch nicht erfährt, ist die tatsächliche Häufigkeit bewaffneter Zwischenfälle auf beiden Seiten der Grenze. Bis heute kommt es nahezu täglich zu infanteristischen oder artilleristischen Übergriffen. Allwöchentlich fliegen außerdem zwei israelische Kampfflugzeuge in den Südlibanon, um jene Dörfer zu bombardieren, in denen die Familien der arabischen Kämpfer wohnen. Gab es von letzteren schlimmere Gegenschläge als gewöhnlich, so sind es drei bis vier Bomber. Diese Flüge kommen so regelmäßig und pünktlich vor, daß sie von den am Golan stationierten österreichischen UN-Soldaten als "Libanon-Expreß" bezeichnet werden.

Die Meldungen, die man bei uns über den schwelenden Grenzkonflikt überhaupt nur zu hören bekommt, betreffen die größeren Zwischenfälle, denn die militärischen Nadelstiche sind zum selbstverständlichen Alltag geworden. Wer im Nahen Osten Urlaub macht, sollte den Frequenzregler seines Kofferradios einmal auf den englischsprachigen jordanischen Sender "Radio Jordan" einstellen. Dort wird Tag für Tag und Woche für Woche nüchtern über die letzten Militäraktionen an der libanesisch-israelischen Demarkationslinie berichtet. Im Westen kommen dann nur solche Informationen an, die quasi nicht zu verheimlichen sind, denn wer will schon mit schlechten Nachrichten gut zahlende Touristen verscheuchen. Der Nahe Osten ist ein permanent vor sich hinbrodelnder Krisenherd, und alles, was die mitteleuropäische Öffentlichkeit davon mitbekommt, sind die periodischen Pausenfüller in den Medien, wenn es an anderen Katastrophen-Berichten mangelt.

Was man bei uns selten hört, sind die Hintergründe der Auseinandersetzungen. Seit dem Yom-Kippur-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten im Jahre 1973 bemüht sich eine hilflose libanesische Regierung um ein gutes Verhältnis zu Tel Aviv. Doch parallel dazu blühten in den wilden Bergregionen im Süden des Landes immer neue "Terroristendörfer" auf, besiedelt von der zu Weltruhm gelangten, vom Iran bezahlten und von Syrien geduldeten Hisbollah. Seitdem feuern die "Gotteskrieger" unermüdlich ihre Katjuschas auf den Norden des verhaßten Israel ab und attackieren die mit dem Judenstaat verbündeten christlichen Milizen der Südlibanesischen Armee (SLA).

Gleichzeitig mit der Westöffnung des Libanon kam der illegale Handel mit Importwaren auf, die von Schmugglern über die Golanhöhen nach Syrien gebracht werden. Die genannten Entwicklungen hatten dreierlei militärische Auswirkungen: Erstens stellten die Israelis Besatzungstruppen in einer sogenannten "Sicherheitszone" im Südlibanon auf, zweitens rief die UNO im Grenzbereich eine vergleichsweise kompromißlose Mission unter dem Namen UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) ins Leben, und drittens besetzten syrische Truppen den Südwesten des Landes, um unter anderem dem Schmuggel Einhalt zu gebieten – was, wie sich später herausstellte, nahezu wirkungslos verpuffte.

Der Südlibanon steht somit politisch zwar noch unter der Verwaltung der Regierung in Beirut, faktisch ist er jedoch ein mit Zutaten aus Damaskus, Teheran und Tel Aviv versetzter, schwer genießbarer multinationaler Cocktail Marke "Molotow". – Wenn nun deutsche Politiker die Rückkehr von palästinensischen Asylanten in diese Region planen, so sollten sie ehrlicherweise die dortige latente Unruhe nicht unter den Teppich kehren. Bonn sollte statt dessen gezielt Hilfsgelder für die Flüchtlingssiedlungen der Palästinenser bereitstellen und sich – endlich – argumentativ auf das Faktum besinnen, daß Deutschland nun einmal nicht im eigenen Land die Probleme der ganzen Welt ausbaden kann.


 
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