© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
SAT.1 gibt Gas: "Geliebte Schwestern" endlich im Programm
Lebensziel: Arztgattin
von Claus-M. Wolfschlag

Michaela wird jedesmal rot, wenn ihr der ermittelnde Kommissar, adrett und gutaussehend, im Flur begegnet. Schreibt er ihr heimlich die romantischen Liebes-emails? Angie dagegen hat nur noch Angst vor der wichtigen Prüfung am Donnerstag. Wie viele Knochen sind nochmal in so einer verflixten Hand? Doch da kommt schon der Abspann. Der Zuschauer wird erst 24 Stunden später die Antworten auf die vielen, vielen Fragen wissen. "Geliebte Schwestern" ist das neue Flaggschiff bundesdeutscher TV-Flachheit.

Tägliche Seifenopern gehören bereits seit Jahren zum Repertoire der Fernsehsender. Billig in Studios produziert, sorgen sie trotz zumeist mangelhafter schauspielerischer Leistungen der meist unerfahrenen Darsteller für hohe Einschaltquoten. Angesprochen werden soll vor allem ein junges "Viva"-Publikum, das sich mit den jungen Darstellern im allgemeinen Leben identifizieren kann. Vorherrschend sind derzeit die RTL-Serien "Gute Zeiten – Schlechte Zeiten" und "Unter Uns" sowie die Ausstrahlungen der ARD ("Marienhof", "Verbotene Liebe"), die am frühen Abend zumeist ein weibliches Fernsehpublikum zu beglücken scheinen. Zudem hält sich auf RTL2 noch die Serie "Alle zusammen – jeder für sich" welche, nach ausgiebigen Werbeaktionen, seit November ’96 ausgestrahlt wird. Weniger erfolgreich waren bisher die Ausstrahlungen des ZDF und von SAT.1.

SAT.1 möchte nun nach "So ist das Leben – die Wagenfelds" den zweiten Anlauf wagen und startete am 2. Juni die neue Serie "Geliebte Schwestern". Wohl aus den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit heraus hat man die Kombination mit einem klassischen Sujet gesucht, daß neben den Kommissaren seit Jahzehnten die Welt bewegt: Ärzte, Krankenschwestern, Patienten – und nun als innovatives Element: Die Auszubildenden, neckisch Azubis genannt.

So ist bei den "Geliebten Schwestern" das Milieu ein altbekanntes. In einem Berliner Krankenhaus (produziert wird in Wirklichkeit in einem ehemaligen Obstlager in Köln-Hürth; nur für Außendrehs reist die Crew in die Hauptstadt) versuchen fünf junge Schwesternschülerinnen eines Tages richtige Krankenschwestern zu werden.

Verwundert fragen sich seit Jahren die Kommentatoren, warum vom Krankenhausalltag eine derartige Faszination ausgeht: Sind es die feschen weißen Kittel der Oberärzte? Ist es die Nähe zum Tode, die die sterilen Krankenzimmer ausstrahlen oder die Schadenfreude angesichts dahinsiechender Kranker? Oder beweist gerade das Dasein junger, knackiger Krankenschwestern daß das Leben doch unbesiegbar sein muß? Vom Typus der weißgekittelten Hilfshalbgöttin jedenfalls scheint schon seit langen Zeiten eine erotische Aura auszu-gehen.

Auch angenehm: Dies alles geht völlig ohne Blutvergießen ab. Verletzungen sieht man höchstens in Gips verpackt oder auf Röntgenbildern, die der Laie sowieso nicht erkennen kann.

"Geliebte Schwestern" soll das Genre der "Soap Operas" auch zunehmend männlichem Publikum schmackhaft machen. Das Krankenhaus sagt der Bundesliga den Kampf an. Ob dies den Machern gelingt, ist indes fraglich. Aus diesem Grund jedenfalls bringt "Geliebte Schwestern" auch für jeden Geschmack etwas: Die modische Michaela (Mareike Fell), deren Unbeholfenheit männlichen Beschützerinstinkt hervorruft, Nadine (Jacqueline Kiskerie), die strenge Femme fatale und Intrigantin, die kumpelhafte Ronnie (Anette Schreiber), deren diplomatisches Geschick sie zur lieben Über-Mama werden läßt, die attraktive Angie (Xenia Seeberg), welche als blondes Traummädchen an wildromantische Empfindungen appelliert oder die schicke Karen (Florentine Lahme), welche den Schwiegertochterwunsch bürgerlicher Mütter verkörpern könnte.

Und diese flippigen Girls (und mit ihnen 120 weitere Mitarbeiter, elf Autoren und vier Regisseure) erleben nun alltäglich spannende Abenteuer und gefährliche Leidenschaften. "Fun und Frust", Probleme, Ehrgeiz, Neid und – natürlich im Übermaß – Intrigen, um das Lebensziel "Arztgattin" irgendwann erreichen zu können.

Der Zuschauer hat nun auch zwischen 19.10 und 19.40 Uhr die Möglichkeit mit reichlich viel Seife in Berührung zu kommen, ohne einen "Gloria"-Heftroman zu lesen oder den beschwerlichen Gang ins Badezimmer anzutreten.


 
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