© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Durchgeknallt
von Hans-Helmuth Knütter

Viele erinnern sich in diesen Tagen an das turbulente Jahr 1968. Das neunzehnte Jahrhundert endete erst damals, sagt man. Viel Unzufriedenheit mit der etablierten Nachkriegsordnung äußerte sich. Die damalige Revolte kam von links, und der Staat versuchte sich zu behaupten. Ein "durchgedrehter" Staat habe überzogen reagiert, meint der Spiegel (24/97) hämisch. Es ging aber nicht nur um die Zersetzung hohler Autoritäten durch politische Clownerien, sondern auch um Brandstiftung ("burn, warehouse, burn"), zunächst nur auf Flugblättern, dann in Wirklichkeit und schließlich um den bewaffneten Untergrundkampf.

Wie sehr wir heute in einer "anderen Republik" leben, konnte man kürzlich an einer Veranstaltung des Professors Gessenharter (Bundeswehrhochschule Hamburg) im dortigen Haus Rissen ermessen. An dieser Tagung über den "(Rechts-)Extremismus" nahmen nicht nur zahlreiche Linksextremisten teil, wie Jens Mecklenburg, Herausgeber des denunziatorischen "Handbuchs des deutschen Rechtsextremismus" und PDS-Landtagsabgeordnete. Angekündigt (allerdings dann doch nicht erschienen) war Ulla Jelpke, PDS-Bundestagsabgeordnete und Berufsantifaschistin. Vor diesem linksextremistisch durchsetzten Seminar nahmen der Abteilungsleiter Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz und der Hamburger Polizeipräsident Uhrlau die "Vermessung" des Rechtsextremismus vor, und zahlreiche Mitarbeiter von Landesämtern aus Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen waren anwesend. Soweit sind wir: Verfassungsschützer marschieren unter Anleitung eines Professors der Bundeswehrhochschule Seite an Seite mit offenkundigen Linksextremen, denen der Verfassungsschutz, würde er seinem Anspruch gerecht, sein dienstliches Interesse, aber nicht seine Kooperation zuwenden müßte. Die moralischen Sicherungen dieses Staates sind offenbar durchgeknallt, eines Staates, der auf der anderen Seite des politischen Spektrums bloße Meinungsäußerungen bereits als "Anhaltspunkte" für Rechtsextremismus wertet. "Wehret den Anfängen"! Den Anfängen? Die Einschränkungen der Freiheitsrechte sind bereits weit fortgeschritten. In den nächsten Wochen und Monaten gibt es keine wichtigere Aufgabe, als dieser verderblichen Entwicklung entgegenzutreten, solange das noch möglich ist. Der Zusammenschluß aller Betroffenen ist die erste Voraussetzung, die Aufklärung einer desinformierten, indolenten Öffentlichkeit die unerläßliche Konsequenz.


 
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