© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Pankraz, Lord Ismay und die Liebe der Franzosen zur Strategie

In französischen Zeitungen ist zur Zeit viel über die "ungenierte Interessenpolitik der USA" zu lesen, gelegentlich auch (in den Blättern des kommunistischen Regierungspartners) vom "immer frecher werdenden amerikanischen Imperialismus". Die Ersetzung des Diktators Mobutu durch den Diktator Kabila sei "ein Coup der CIA" gewesen. In Afghanistan würden die menschenfresserischen Taliban "vom Pentagon angeleitet", damit sie den Amerikanern Zugang zum innerasisatischen Öl verschafften. Die Nato-Erweiterung in ihrer jetzt festgelegten Phase sei "Resultat amerikanischen Drucks". Und zahlreiche Anspielungen dieser Art.

Für deutsche Leser hat das Phänomen zunächst etwas Erfrischendes, begegnen sie da doch einem Stil, den sie in ihren eigenen Medien vergeblich suchen. Dort gibt es längst keine Strategie-Diskussion mehr, keine Interessen-Analysen, sondern nur noch öliges Gerede über Demokratie und Menschenrechte, die angeblich von sämtlichen "Wohlmeinenden" in schönster Eintracht gegen einige wenige "Spielverderber" in Libyen oder Iran verteidigt würden. Die politische Publizistik hierzulande hat abgedankt zugunsten einer permanenten (und hochbezahlten) Produktion von Lebkuchensprüchen, und der Abonnent merkt das und ist verstimmt.

Aber auch die Lektüre der französischen Real-Analysen bereitet kein reines Vergnügen. Es ist darin immer von "Europa" die Rede, wenn in Wirklichkeit Frankreich gemeint ist. Der Sieg Kabilas, heißt es, sei eine Niederlage "Europas", das "europäische Verlangen", Rumänien in der ersten Staffel der neuen Nato-Mitglieder zu haben, sei von Washington verhindert worden usw. usw. Der deutsche Leser fragt sich schnell, ob das denn wirklich stimmt, ob unsere deutschen Interessen denn wirklich so ganz und gar mit den französischen identisch sind, wie es hier dargestellt wird.

Wäre es nicht besser, statt Rumänien Kroatien und die baltischen Länder in die Nato zu holen? Das sind doch ausgesprochen deutschfreundliche Staaten, die in erster Linie mit uns (und erst danach mit Paris) privilegierte Beziehungen anstreben. Und wie steht es mit dem Kongo? Haben deutsche Unternehmen unter Kabila wirklich weniger Chancen, an die Bodenschätze von Katanga heranzukommen, als sie unter Mobutu hatten?

Und ganz allgemein: Muß denn immer der Antagonismus zwischen Amerika und Europa herausgestellt werden, wie das in den französischen Strategie-Debatten geschieht? Liegt es nicht vielmehr in unserem deutschen Interesse, den Antagonismus abzuschleifen und statt des grantigen "Entweder-Oder" ein verbindliches "Sowohl-Als auch" zu praktizieren? Verschafft es unserer eigenen Außenpolitik nicht Luft, wenn wir, je nach eigener Interessenlage, einmal mehr die französische und ein andermal mehr die amerikanische (und vielleicht sogar auch einmal die russische!) Karte ausspielen?

Solche Fragen sind natürlich nur wichtig, wenn man voraussetzt, daß es eine deutsche Außenpolitik qua Interessenvertretung tatsächlich gibt. Bekanntlich kann man daran zweifeln.

Einige Beobachter sagen, Bonn verstecke sich bei seinen außenpolitischen Entscheidungen jedesmal hinter den Sprüchen irgendwelcher internationaler Gremien und das sei kein Nachteil, sondern eine Raffinesse dieser Außenpolitik, eine unstolze, gleichwohl hocheffiziente Spezialmethode. Aber Pankraz will es eher scheinen, als verstecke sich Bonn nicht, sondern stelle sich aus šberzeugung tot - um erst dann wieder aufzuwachen, wenn die anderen entschieden haben und es nur noch darum geht, "einen Beitrag zu leisten".

Einzig beim Beitragleisten, vulgo: beim Bezahlen, ist Bonn groß. Weshalb ja dereinst schon Lord Ismay bei Betrachtung der kontinentalen Außenpolitik sarkastisch formulierte: "Die Amerikaner geben die Richtung an, die Franzosen ziehen die Fahne auf, die Deutschen bezahlen." Daß es mit solcher "Außenpolitik" angesichts notorisch leerer Kassen nicht mehr lange gut gehen kann, ist inzwischen fast jedermann klar.

Der Zeitpunkt ist absehbar, zu dem auch Bonn von der Bezahlpolitik zur genuinen Außenpolitik wird zurückkehren müssen, zu dem es die Spendierhosen durch echte Reithosen wird ersetzen müssen. Und spätestens dann wird sich herausstellen, ob es eine speziell "europäische" Außenpolitik im Sinne jener französischen Strategie-Blätter überhaupt geben kann oder ob es sich nicht um eine pure Fiktion handelt, wie bei jener "gemeinsamen europäischen Finanz- und Fiskalpolitik", die - wie jetzt nach den französischen Wahlen schneidend zutage tritt - nur im Chaos oder in der Preisgabe sämtlicher monetärer Traditionen der einen oder der anderen Seite münden kann.

Die Deutschen werden sich außenpolitisch wohl kaum gegen den "amerikanischen Imperialismus" in Stellung bringen lassen, selbst dann nicht, wenn er sich noch größere "Ungeniertheiten" leistet als diejenigen, die er zur Zeit im Kongo und in Afghanistan begeht. Es wird den Franzosen auch nicht gelingen, ihre eigene merkantilistische und staatsinterventionistische Wirtschaftsauffassung dem deutschen Partner als "typisch europäisch" zu verkaufen und sie gegen den "neoliberalistischen US-Kapitalismus" auszuspielen. Denn die deutsche Wirtschaftstradition ist selber stets liberal gewesen (wenn auch nicht liberalistisch und schon gar nicht ultra-, radikal- oder neoliberalistisch).

Im deutschen Interesse liegt eindeutig eine vermittelnde, Staat und Wirtschaft, Ost und West, Amerika und Europa versöhnende und ausgleichende Haltung: die Rolle des guten Maklers. Diese Rolle steht uns sehr gut, sie ist selbstverständlich schwierig und erfordert šbersicht und Fingerspitzengefühl. Sich tot stellen und die Spendierhosen flattern lassen darf man dabei nicht.


 
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