© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Es könnte so einfach sein
von Ellen Kositza

Viviana wohnt unter ärmlichen Verhältnissen am Stadtrand von Santiago. Ihr Vater trinkt, und hin und wieder versohlt der launische Alte seine Tochter; er macht sie verantwortlich für die familiäre Geldnot. "Verschwinde!" herrscht er seine Tochter an, "und komm nicht ohne Geld und Arbeit zurück!"

Auf der Straße trifft das arme Kind auf den Nachbarjungen Miguel, der sie auf dem Motorrad in die Stadt mitnimmt - doch die Welt ist schlecht, und dies besonders für unschuldige 16jährige Mädchen in Porno-Comics. "Hier muß man für alles zahlen-", deutet Miguel hintergründig an, und im folgenden wird seitenlang der Preis des gelockten Jünglings mit dem Antlitz des frühen Nino de Angelo deutlich: Viviana, bislang Jungfrau aus Überzeugung, muß dem Knaben als Dank für die Mitfahrgelegenheit etliche Dienste verrichten. Eine Angelegenheit, gegen die sie sich zunächst ängstlich und keusch sträubt, doch schließlich deutlichen Gefallen daran findet-

That's life, Viviana, will diese Einleitung wohl sagen, denn in ganz Santiago wimmelt es ausschließlich von vor sich hinejakulierenden Männern mit Potenzdröhnung. Diese finden in Viviana das unwillige Objekt ihrer Begierde.

Das Schema ist immer das selbe: Das junge Fräulein ist zunächst hilflos ausgeliefert, sowohl hierarchischen Machtstrukturen - etwa der uniformierten und bewaffneten Polizei oder dem fiesen Arbeitgeber, als auch der physischen šberlegenheit der Männer. "Es ist ekelhaft", sinniert die Heldin in Aktion, "aber etwas in mir will gehorchen- HMMM".

Porno-Comics sind "in", und ihr Image unterascheidet sich deutlich von dem der ähnlich gearteten Filmbranche. Konsumenten sind hier nicht nur die hoffnungslosen Bierbauchträger, die mit rotem Kopf, schwitzigen Händen und verkeimter Jogginghose die Videokasetten horten. Nein, es ist der durchaus lebenstüchtig erscheinende Mittzwanziger; Studenten, denen man eine Option auf ein geregeltes Sexualleben nicht ohne weiteres absprechen kann.

Und es ist ein fast künstlerisch-verbrämter Anspruch, den die Freaks begründend anfügen: "supergute Zeichnungen", es sei häufig ein "stilvolles Ambiente" die Tatorte betreffend, zudem "ästhetisch interessant" und was es dergleichen noch mehr gibt an "Gründen".

Die eigentliche Motivation wird jedoch der Wunsch sein, doch noch einmal verfügen zu können über das schwache Geschlecht. So ein Heftchen bringt wenigstens ein bißchen Trost und Freude im beängstigenden Alltag sukzessive fortschreitender Frauenemanzipation und medienwirksam postulierter "Girlie-Power".

So ist es auch bezeichnend, daß der permanent vergriffene Spitzenreiter durch eine Reihe mit dem Titel "Die Leiden der jungen Janice" vertreten ist. Vergewaltigungen, Auspeitschungen und Folterphantasien sollen wohl männliche Machtgelüste befriedigen. Die Art der Gestaltung richtet sich weniger an den Sado-Maso-Liebhaber, als an den Otto-Normal-Versager. Moralisieren ließe sich darüber viel. Vorteilhaft ist es sicher nicht, daß trotz offizieller Altersbeschränkung es in der Praxis jedem Mittelstufler freisteht, ein pornographisches Machwerk dieser Art zu erwerben-

Auch fallen guter Geschmack und Sinn für Esthetik nicht eben vom Himmel. Doch immerhin lassen die teils bunten, bildgewordenen Träume vernachlässigter Männer weniger auf übermütiges Potenzgebaren als auf armseliges Wunschdenken derjenigen schließen, die im wirklichen Leben einfach zu kurz kommen.


 
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