© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Medienereignisse
von Martin Schmidt

Die Wiedervereinigung Hongkongs mit China ist zweifelsohne ein historischer Einschnitt, auch wenn es sich nur um einen späten Nachklapp auf die längst vergangene Zra britischer Weltgeltung und auf das Kolonialzeitalter im allgemeinen handelt. Die Massenmedien haben das Ereignis weidlich für ihre Zwecke ausgenutzt, zumal sich aus farbenprächtigen Feuerwerken, den rührenden Abschiedsszenen der Familie Patten von Hongkong und den Spekulationen über die Zukunft des kapitalistischen Stadtstaates im roten China eine zuschauerträchtige Mixtur zusammenstellen ließ. Dennoch sind - vor unser aller Augen und parallel zum Presse-Tamtam um die einstige britische Kronkolonie - ganz andere, weltpolitisch möglicherweise viel weitreichendere Zäsuren auszumachen. Doch diese lassen sich medial schlecht vermarkten, da es sich um langfristige, nicht auf ein bestimmtes Datum festzulegende Entwicklungen handelt.

Eine in ihrer Bedeutung kaum abzuschätzende Zäsur wird mit der Jahrtausendwende in den USA erreicht, wenn dort der Prozentsatz der "Hispanics", also der Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, den der schwarzen Bevölkerung als bislang mit rund 13 Prozent größten Minderheit übertroffen haben wird. Diese in Europa gerade erst bekannt gewordene Prognose amerikanischer Statistiker wird an symbolischer Dramatik sogar noch übertroffen von der Vorhersage, daß um das Jahr 2050 nur noch die Hälfte der US-Bürger weißer Hautfarbe sein wird (gegenüber 73 Prozent heute), während Latinos, Schwarze und Asiaten dann die andere Hälfte bilden.

Ein anderer geschichtlicher Einschnitt zeichnet sich in Indien ab. Die Tatsache, daß bei den am 14. Juli anstehenden Präsidentschaftswahlen erstmals ein "Unberührbarer" (also ein Angehöriger der Kastenlosen, die sozial noch unterhalb der sogenannten "Unterkasten" rangieren), Kocheril Raman Narayanan, das höchste Staatsamt einnehmen wird, symbolisiert die faktische Erosion des jahrtausendealten Kastensystems.

Die genannten Zäsuren in den USA und in Indien stehen beispielhaft für die Veränderungen, die die Welt von morgen prägen werden und die gleichwohl in unseren Nachrichten kaum eine Rolle spielen. Der Nachrichtenkonsument auch in der modernen "Medienwelt" ist dem Informationsmonopol der großen "Anbieter" ausgeliefert. Ausgeliefert einer all den großspurigen Ansprüchen von "umfassender Information" zum Trotz höchst subjektiven und selektiven Auswahl der Berichterstattung. Sich dies immer wieder zu vergegenwärtigen, ist unabdingbar, will man sich möglichst viel seiner (Meinungs-) Freiheit bewahren.


 
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