© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Angst vor Konflikten
von Dieter Stein

In zwei Aufsätzen gingen in der vergangenen Woche in der taz zwei Politikwissenschaftler der Linken auf das Phänomen der "Neuen Rechten" ein. Wolfgang Gessenharter, Politikwissenschaftler an der Bundeswehrhochschule Hamburg, und Richard Stöss, Privatdozent an der Berliner Freien Universität.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die etablierte politikwissenschaftliche Literatur die unbekümmerte Weigerung, zu akzeptieren, daß zu einer pluralistischen Demokratie nicht nur eine Linke und liberale Mitte gehört, sondern explizit eine Rechte bzw. ein konservativer Flügel. Diese Hemmung ist ein - historisch erklärbares - deutsches Ausnahmephänomen, das in keinem anderen westlichen Land so zu finden ist. Es ist eine Kultur der Diskursverweigerung und der Angst vor politischen Konflikten.

Gessenharter meint nun mit der "Neuen Rechten" eine nicht identifizierbare Summe von Projekten, Zirkeln und Einzelpersonen entdeckt zu haben, die angeblich zu einem "Netzwerk" vereint sein sollen. Diese "Neue Rechte" habe scheinbar ungeheuren Einfluß. Selbst Wolfgang Schäuble soll unfreiwillig "den neurechten Zug besteigen". Diese Gruppe verbinde ein "einigendes Band", nämlich dem Gedankengut der "Konservativen Revolution". "Wichtigster Promotor", so Gessenharter, sei der Staatsrechtler und Verfassungstheoretiker Carl Schmitt gewesen.

Gessenharter meint, eine "Freund-Feind-Theorie", die er auf Schmitt zurückführen will, sei die fesselnde Idee jener "Neuen Rechten". Sie gehe von der "ständigen Bedrohung aller menschlichen Gesellschaften durch innere und äußere Feinde aus". Eine Idee der "Neuen Rechten"? Wenige Zeilen zuvor lobt Gessenharter den Verfassungsschutz dafür, daß er "bei der Vermessung der extremen politischen Positionen über ein Monopol" verfüge. Womit sonst, wenn nicht nach einer Freund-Feind-Unterscheidung arbeitet der Verfassungsschutz? Oder will Gessenharter, daß der freiheitliche Rechtsstaat auf die Definition von Feinden der Verfassung und ihre öffentliche Bannung verzichtet? Wohl kaum. Gessenharter hätte eben nur gerne den Begriff des Rechtsextremismus ein wenig in die politische Mitte hin ausgedehnt, so daß man demokratische Rechte und Konservative erledigen kann. Er merkt nicht, daß die Notwendigkeiten, die Carl Schmitt für das šberleben der Weimarer Republik gefordert hatte (Parteienverbote der NSDAP und KPD), in der Bundesrepublik realisiert wurden. Unfreiwillig hat er den Schmittschen Begriff des Politischen auf die banalste Weise in sein eigenes Denken integriert und pervertiert. Schmitts Schreckbild, vor dem er warnte, war der Bürgerkrieg - der Alptraum der deutschen Nation seit dem Dreißigjährigen Krieg. Der Bürgerkrieg gebar nämlich die Notwendigkeit der Verfassung als Verhinderung des Zußersten (des Bürgerkrieges) und als Schutz des Rechts und damit der schwächsten Glieder einer Gemeinschaft. Schmitts Verfassungslehre zielte auf die Sicherung des Rechts und der Verhinderung der Gewalt.

Ausgerechnet unter Verweis auf Schmitt zu behaupten, Rechte und Konservative sähen "Gewalt und Kampf als unausweichliches Moment" und "frohlockten" über Studien, die wachsende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen feststellen, ist hanebüchen.

Alles Wortgeklingel: Wo hat die "Neue Rechte" politische Begriffe und Bilder besetzt? Wer sind die "konservativen Eliten", die Gessenharter entdeckt haben will? Besorgt fragt Gessenharter gar, ob die "bereits vollzogene Kontaminierung des öffentlichen Bewußtseins mit neurechten Begriffen und Wirklichkeitsbildern" rückgängig zu machen sei. Die Rechte als Fall nicht nur für den Verfassungs- sondern auch den Strahlenschutz?

Richard Stöss sortiert die Begriffe etwas kenntnisreicher als Gessenharter und kann auch schon mehr Namen nennen. Immerhin bezeichnet er Kaltenbrunner, Mohler, Rohrmoser, Schrenck-Notzing als Konservative und spannt den Extremismusbegriff nicht so atemberaubend weit wie Gessenharter. Während Gessenharter herumphantasiert und eine gigantische neurechte Gefahr an die Wand malt, spricht Stöss einige für Rechte und Konservative unangenehme Wahrheiten aus. Die Wiedervereinigung 1989 wird als Schock für die Rechte beschrieben. Rechte Parteien seien angesichts der deutschen Einheit sprachlos geworden, ihr wichtigstes Thema sei ihnen abhanden gekommen. Da ist etwas dran. Denn angesichts des totalen Versagens der Linken bei diesem Thema hat sie sich das Heft von Kohl, der Deutschland übergangslos in den europäischen Einheitsstaat führen will, aus der Hand nehmen lassen. Festung Europa oder sozial gerechte Gesellschaft. Das sind für Stöss die Alternativen der Zukunft. Die einzigen Lösungsvorschläge der Rechtsextremisten seien Rassismus und antieuropäischer Impetus. In der Tat werden die Themen der Zukunft hier liegen: in der unaufhaltsam steigenden Arbeitslosigkeit und in der schleichenden Zerstörung der nationalen Identität.

Stöss legt den Finger in die Wunde der Rechten: die soziale Frage. An ihr scheiden sich die Geister bei rechten und konservativen Politikansätzen. Eine Rechte, die sich nicht nur "neu" nennt, sondern es auch ist, wird sich hier äußern müssen.


 
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