© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Jugendkult: Die Love Parade ist so politisch wie das Weihnachtsfest der Gartenfreunde
Politik als Abfallprdukt
von Manuel Ochsenreiter
 

Am 12. Juli ist es wieder soweit in Berlin. Eine bunte, gigantische Masse junger Menschen wird unter dröhnender Techno-Musik durch die Hauptstadt tanzen. Dieses Jahr soll die magische Schallgrenze von einer Million überschritten werden. Was 1989 unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" mit 150 Ravern und Techno-DJ Dr. Motte alias Matthias Roeingh begann, entwickelte sich in kurzer Zeit als Selbstläufer zum größten europäischen Techno-Festival. Ja, Techno ist eine spezifisch europäische Jugendkultur, deren Wurzeln in den kleinen, experimentellen Studios in Deutschlands Großstädten liegen.

Angemeldet wurde die Veranstaltung, die dieses Jahr unter dem Motto "Let the sun shine in your heart" stattfindet, als eine politische Demonstration. Die Frage, ob es sich bei der Techno-Gemeinde tatsächlich um eine politisch motivierte Gruppe handelt oder nur um konsumvernarrte Gören, spaltet die Öffentlichkeit.

Sicher, wer unter den Bannern von Red Bull, Jägermeister und VIVA 750.000 Liter Urin in Berlins größten Innenstadtpark pumpt und dann im Ecstasy-Rausch zu lauter "Bumm-Bumm-Musik" um die Siegessäule hüpft, läßt sich schlecht als Demonstrant oder gar als Polit-Rebell verkaufen. Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) läßt das Ereignis dennoch als Demo gelten, wohl auch aus Rücksicht auf die zu erwartenden zehn Millionen Mark Steuereinnahmen. Dies macht die Love Parade zur Standortfrage. Der Berliner PDS-Abgeordnete Benjamin Hoff bringt es auf den Punkt: "Die CDU findet die Love Parade deshalb so toll, weil sie völlig unpolitisch ist. Wäre es eine politische Demonstration, gäbe es Auflagen."

Der Vorwurf, die Veranstaltung sei nur als "politische Demonstration" angemeldet worden, weil die Veranstalter sonst die Müllbeseitigung aus eigener Tasche bezahlen müßten, klingt plausibel. Vor allem wenn man berücksichtigt, daß voriges Jahr der Stadt Kosten von 231.000 Mark entstanden sind. Ganz zu schweigen von den sonstigen ökologischen Auswirkungen (Lärmbelästigung, 2.300 zerstörte Büsche), welche die Dimension der Schäden noch gar nicht erahnen lassen. Kein Wunder also, daß die Gegner mobil machten. Grüne und PDS schlugen Ersatzrouten vor, so zum Beispiel einen dezentralen "Sternmarsch" um Berlins Zentrum (Vorschlag der PDS). Teile ihrer Klientel kritisieren die Parade bodenständiger. Sie versprechen eine "Hate Parade", eine Haßparade, die das "Abrißkommando Reichshauptstadt Berlin" veranstalten möchte. So wollen "autonome" Gruppen die Chaostage, die bisher in Hannover stattfanden, zeitgleich mit der Love Parade in Berlin abhalten und die Stadt im Schutz der "Massen von Pillenfressern" in "Schutt und Asche" legen. "Die erste Hateparade ist die letzte Love Parade", versprechen sie in einem ihrer Flugblätter.

Somit wird die Love Parade doch noch unfreiwilligerweise zum Politikum gemacht, gerade durch diejenigen, die ihr jegliche politische Motivation absprechen wollen. Politik wird praktisch zu einem Abfallprodukt dieses Massenspektakels. Den Veranstaltern kann eine polarisierende Diskussion nur recht sein, da sie auch die Attraktivität des Umzugs erhöht. Logisch, wenn jedes Jahr die Rede von der "möglicherweise letzten" Love Parade ist, wollen alle doch noch mal dabei sein. Die Frage jedoch, inwieweit die Love Parade eine Demonstration mit politischen Zielen ist – und wenn ja, welche Ziele dies sein sollen, ist damit noch lange nicht geklärt. Die Szene scheint viel zu bunt, in verschiedene Richtungen gespalten und zu hedonistisch, zerstritten und individualistisch, um ihr irgendwelche "einigende" politische Ambitionen zuzugestehen. Was gemeinhin als "Techno-Szene" bezeichnet wird, ist aufgespalten in House, Goa, Musica Obscura und Trance, ist zerstritten in Kommerz-Befürworter und konsum-abstinente Keller-DJs, in avantgardistische Experimentierer und geradezu konservative Vinyl-Fetischisten. Der gemeinsame Nenner heißt Spaß und Lebensfreude.

Und der Faktor "Spaß" scheint alle anderen, möglicherweise politischen Optionen einer solchen Veranstaltung zu ersticken. Während die linke Seite kritisiert, daß weder soziale Veränderungen gefordert werden, noch "unerträgliche" Zustände im Staat (Asyl, Rassismus, Emanzipation…) angeprangert werden, kritisieren Rechte die "einseitige Konsumorientiertheit" ohne wirkliche Zielsetzungen. Kurzum: Mit den Augen des engagierten Bürgers betrachtet, ist diese Veranstaltung in etwa so politisch wie das Weihnachtsfest der Gartenfreunde.

Dennoch – oder gerade deswegen – gelingt es den Organisatoren, mehrere hunderttausend Menschen aus ganz Europa friedlich in der alten und neuen Hauptstadt zu versammeln. Vielleicht ist die Love Parade ja auch nur eine neue Form der politischen Aktivität, auf die die Gesellschaft nicht zu reagieren weiß. So schreiben die Veranstalter: "Berlin als gigantisches Medium des sich Verschwendens, Lebens, Liebens und Tanzens. Eine Generation tritt auf den Plan, der häufig Sprachlosigkeit nachgesagt wird. Irrtum! Die Sprache hat sich nur geändert. Inhalte werden nicht mehr gefordert sondern gelebt, die Grenzen zwischen Ziel und Wirklichkeit lösen sich auf."

Und zu den Zielen heißt es: "Hunderttausende von Jugendlichen werden ein Zeichen setzen gegen sich breit machende Agonie und eine Atmosphäre von Zuversicht, Mut und Vertrauen in die Zukunft erzeugen. Wo andere ihr Wunschdenken nur laut äußern, wird es hier sichtbar praktiziert: neue Wege beschreiten, Veränderungen neugierig entgegensehen, neue Lösungen suchen und finden – und zwar miteinander. Reformbedarf wird unserer Gesellschaft immer wieder attestiert – meistens ausgerechnet von Politikern, die über Jahre hinweg den Stillstand zementiert haben."

Es ist traurig, aber in der heutigen Zeit ist es bereits ein Politikum, sich ungezwungen amüsieren zu wollen. Deutschland hat verlernt zu feiern. Eine "Wut-und-Trauer"-Gemeinde diktiert der Öffentlichkeit was zu tun und zu lassen ist. Die Parade ist gewissermaßen auch ein Versuch, aus diesen gesellschaftlichen Reglements auszubrechen. Spaß und Freude werden da zur Provokation, wo Betroffenheit und Langeweile den Alltag bestimmen. Es ist vor allem für Jugendliche schwer, Freiräume zu finden, in denen nicht fortdauernd moralisiert wird. Denn Moralisieren ist schick, angebliche Probleme zu erörtern wird von engagierten Pädagogen zum Sinn und Zweck des Lebens hochstilisiert. Wo kann sich ein junger Mensch in Deutschland noch bewegen ohne fortlaufend an sämtliche Übel unserer Zeit erinnert zu werden? Ein erdrückendes Gutmenschentum hat sich in unserer Gesellschaft breitgemacht. Eine Möglichkeit, "Freiräume" zu finden, bietet unter anderem die Techno-Szene mit ihren zahlreichen Clubs und Kellern. Dort werden für viele unerfüllte Sehnsüchte wahr, zumindest für den Abend. Schon allein die dezibelstarken Beats und die Lichteffekte lassen einen "das da draußen" einfach vergessen und sogenannte Pillen und LSD-Trips tun das Übrige zur "Erweiterung des Bewußtseins". Es ist auch als eine Art Flucht zu verstehen, eine "innere Emigration" in einen Freiraum, der von dem Grau in Grau des Alltags noch nicht okkupiert
wurde.

Die Love Parade trägt einmal jährlich diesen Geist mit nach außen. Sie zeigt, daß auch Lachen eine Möglichkeit ist, die Zähne zeigen. Das Politische ist aber hierbei nicht Sinn und Zweck der Veranstaltung, sondern lediglich eine für den Einen mehr, für den Anderen weniger angenehme Begleiterscheinung, welche normalerweise in einer intakten, komplexfreien Gesellschaft niemandem Auffallen würde. Erst der momentane Zustand macht die Loveparade zu etwas "Besonderem". Wo Extreme als "normal" angesehen werden, wird das eigentlich "Normale" unweigerlich zum Extrem.

Das dies nicht etwa wilde Widerstandsphantasien Jugendlicher sind, zeigt ein Blick in die Techno-Zeitschrift Raveline. Man muß lange suchen, um Jugendmagazine zu finden, in denen ähnlich erfrischend und vorurteilsfrei argumentiert wird. Political correctness ist für sie ein Fremdwort. Dort werden beispielsweise von der Leserbriefredaktion Türsteher in Schutz genommen, die an bestimmten Wochentagen keine Ausländer einlassen. Hitzige Antirassismus-Boykottaufrufe laufen ins Leere, wenn ruhig-sachlich geantwortet wird: "Sie (Die Türsteher, d. Red.) sollen auf den ersten Blick erkennen, wer im Club Ärger macht und wer nicht. Daß sie in ihrem Urteilsvermögen und ihren Beurteilunskriterien auch mal falsch liegen können, hast du ja gesehen."

Der Versuch, einen "Rave-against-Racism" zu veranstalten, und dadurch genau die Problematisierung zu betreiben, welche den Techno-Jüngern den Buckel runterrutschen soll, war ein Fehlschlag. Fraglich wird auch der Erfolg einer Gruppe um einen Frankfurter Techno-DJ, der einen eigene "Hate-Parade", die nichts mit der Hateparade der Autonomen zu tun hat, in Berlin veranstalten möchte, um gegen Konsum und Dr. Motte zu demonstrieren und die Love Parade zu stören. Sein Motto lautet unter anderem "Gegen Nazis". Die Organisatoren zeigen Gelassenheit. "Die Störer", erklärte ein Mitarbeiter der Planetcom gegenüber der jungen freiheit, "werden absorbiert." Linke Versuche der Beeinflussung erwiesen sich in der Techno-Szene halt seit jeher als Rohrkrepierer.

Die Love Parade ist und bleibt in erster Linie ein Unterhaltungsspektakel, bei dem offizielle Politik keine Rolle spielen wird. Politik ist das, was nebenbei entsteht und nach außen drängt. Ein Geist, der die Nase voll hat vom allgegenwärtig erhobenen Zeigefinger der Gesellschaft und in einen hedonistischen Individualismus flüchtet, der so extrem ist, daß er die Rave-Nation eint. Spaß, Freude und Leben sind in der Bundesrepublik Deutschland Begriffe mit einer neuerdings politischen Dimension geworden.


 
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