© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Sommertheater zwischen Wien, Amsterdam und Boston
Schüssel statt Haider
Meinungsbeitrag
von Andreas Mölzer

Das Publikum hat sich bereits daran gewöhnt, in Jörg Haider den ei-gentlichen Hauptdarsteller – zumeist das von den Medien geprügelte Krokodil – des rot-weiß-roten Sommertheaters präsentiert zu bekommen. Heuer heißt es aber umdenken. Der Außenminister geruhte im Stil der Bradler Ritterspiele deftige Texte für die rot-weiß-rote Realsatire beizusteuern. Natürlich handelt es sich dabei um einen Sturm im Wasserglas, da die Frage, ob ein Bankier mit Borstenvieh gleichgesetzt werden dürfe oder die traditionelle österreichische Anrede "Trottel" aus protokollarischer Sicht auch für skandinavische Regierungschefs anwendbar ist, von den wahren Problemen des Landes nur ablenken. Wer will da noch über Pensionsproblematik debattieren, wenn es darum geht, den ansonsten politisch durchaus korrekten Vizekanzler einen Hang zu den rassistischen Niederungen des Stammtisch-Faschismus nachzuweisen, dessen Diskussionen bekanntlich mit Vorliebe um "Kümmeltürken" und diverse "Bloßfüßige" handeln.

Ob die Regisseure des rot-weiß-roten Sommertheaters solcherart überaus listig den Kampf der ÖVP um die Rückeroberung der Teil-Lufthoheit über die Stammtische befördern wollen, ist nicht bekannt.

Jener aber, dem diese Lufthoheit im letzten Jahrzehnt unbestritten zugefallen ist, Jörg Haider, begab sich an einen anderen Ort: Die Verbalinjurien des Amsterdamer Katerfrühstücks und die darauffolgenden Wiener Partei- und Medienintrigen waren ihm offenbar zu provinziell. Am Campus der noblen Havard University nächst Boston holt sich der Oppositionschef den staatsmännischen Feinschliff.

Wie man aus einem Goiserer Rohdiamanten einen international präsentablen Polit-Brillanten macht, ist zweifellos nirgendwo perfekter zu erlernen als in Havard. Öffentliche Finanzierung und Budgeterstellung ist das Thema des Sommerkursus, den sich der freiheitliche Frontmann im Kreise von Politik und Wirtschaft aus aller Welt verordnet hat.

Nun ist das so eine Sache mit den Idolen des "kleinen Mannes" in Österreich. Viktor Adler hat sich vor mehr als 100 Jahren noch incognito in die Wienerberger Ziegelwerke eingeschlichen, um sich vor Ort und persönlich über die elenden Lebensumstände der Arbeiter zu informieren und die Tauglichkeit seiner sozialpolitischen Konzepte zu überprüfen. Jörg Haider studiert heute stattdessen an einer amerikanischen Eliteuniversität und suggeriert solcherart seinen österreichischen Wählern – ein guter Teil von ihnen eben "kleine Leute" – er erarbeite sich den letzten Stand der Wissenschaft, um die ökonomischen und damit auch die sozialen Probleme unserer Tage lösen zu können.

Kein schlechtes Rezept, vergleicht man das Verhalten mit dem seiner politischen Konkurrenten: Der Kanzler muß mühsam die nur allzu notwendigen unpopulären Reformschritte erläutern. Wer verzichtet schon gern auf Pensionsprivilegien und ähnliche Wohltaten. Dennoch vermag er gegenwärtig offenbar so etwas wie eine zwischenzeitliche Stabilisierung für seine Partei zu er-reichen.

Und der Vizekanzler arbeitet ebenso zielstrebig an der weiteren Demontage seiner Partei und seiner eigenen Position. Da könnte es bald, nicht nur aus der Sicht der US-amerikanischen Ostküste, sondern auch aus jener der österreichischen Wähler und – wer weiß – möglicherweise auch bald aus jener des Teils der heimischen Medien, sinnreich erscheinen, neuerlich für eine große Koalition zu plädieren. In einer solchen wäre womöglich für eine sich selbst demontierende, zur Kleinpartei herabgesunkene Gruppe wie der ÖVP kein Platz mehr.

Vielmehr könnten sich der rote Pragmatiker aus Schwechat und der mittels Havard-Zertifikat zum Staatsmann geadelte Freiheitliche finden. Die Zeiten, wo dieser wegen seiner angeblichen politischen Unkultur und seiner rabaukenhaften Wortwahl ausgegrenzt war, sind längst vorbei. Allzumal er diesbezüglich neben dem ÖVP-Chef gegenwärtig nur schwerlich eine Chance hätte. Diese rot-blaue, möglicherweise sogar blau-rote Option könnte sich bei weiterem Einbrechen der ÖVP zur einzigen Alternative zur sozialistisch-liberal-grünen Ampelkoalition entwickeln. Letztere aber soll angeblich für Viktor Klima sowohl inhaltlich als auch atmosphärisch wenig wünschenswert sein. Die einzige politische Kraft, die demnach im politischen Spektrum Österreichs noch immer mehrere Optionen hat, sind also die Sozialisten.

Die rot-gelb-grüne Ampel ist angeblich für Klimas politisches Naturell die letzte Wahl. Was die ÖVP-SPÖ-Variante betrifft, stellt sich die Frage, ob das eine 18-Prozent-Partei christlich-sozialer Kernwähler noch aushält. Bliebe also nur die Klima-Haider-Variante, für die es ausschlaggebend wäre, wie weit jene Stimmen in der SPÖ die Oberhand erlangen, die da meinen: Der kleinere Partner in einer sozialistisch-freiheitlichen Koalition müßte auf Dauer, so wie bislang die ÖVP, verlieren.

Realisten wissen allerdings, daß es Haider meisterhaft gelingen könnte, mitzuregieren und gleichzeitig Opposition gegen die Sozialisten zu betreiben.


 
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