© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Karlsruhe als Kassenprüfer
Kommentar
von Bernd-Thomas Ramb
 

Neu ist die Idee der SPD nicht. Schon einmal wurde das Bundesverfassungs- gericht wegen der Verfassungsverletzung eines Bundeshaushaltes angerufen. Das war im Jahre 1982. Kläger war damals wie heute die Opposition, die hieß zu dieser Zeit jedoch noch CDU/CSU und war kurz darauf selbst an der Regierung und verfassungsbrüchig – jedefalls im Sinne des Bundeshaushalts. Das überlastete deutsche Verfassungsgericht kam erst sieben Jahre später zu einer Entscheidung. Ohne großen Nachhall, wen wundert es, war doch schon längst Gras über die Sache gewachsen.

Die Wiederholung des Verfahrens durch die heutige Noch-Oppositionspartei SPD erscheint halbherzig. Einerseits war es zwar schon eine gehörige Portion Unverschämtheit, mit der Waigel gegen Ende des letzten Jahres die SPD-Abgeordneten in Harnisch brachte. Der Vorwurf der SPD, der 1996er Haushalt sei verfassungswidrig, weil die Nettokreditaufnahme von ursprünglich geplanten 59,9 Milliarden auf 78,3 Milliarden DM angestiegen war, während die staatlichen Investitionen statt der vorgesehenen 66,3 nur 61 Milliarden DM erreichten und damit unterhalb der Kreditaufnahme lagen, erwiderte der Finanzminister höhnisch: "Dann können Sie ja nach Karlsruhe gehen!"

Das Risiko, daß die SPD dem Ratschlag Waigels folgen könnte, war und die Auswirkungen bleiben gering. Dafür hat nicht zuletzt die SPD selbst gesorgt, indem sie die Verfassungsbeschwerde allein auf das abgelaufene Jahr bezog und nicht gleich auch das laufende und noch das kommende zur Klage brachte. Möglicherweise hätte man sich wie 1982 als künftige Regierungspartei anschließend selbst auf die Anklagebank gebracht. Über verflossene Straftaten läßt sich hingegen im politischen Bereich gefahrlos streiten.

Andererseits stehen die Verurteilungsschancen doppelt schlecht. Immerhin muß erst nachgewiesen werden, daß die ungedeckten Haushaltslöcher nicht unvorhersehbar entstanden sind und auch nicht unabweisbar waren. Welcher Verfassungsrichter wird glauben wollen, daß die treuherzigen Augen Waigels lügen können, wenn er zum x-ten Male vollkommen überrascht feststellen muß, daß seine berufsoptimistischen Wachstums- und Steuereinnahmenerwartungen komischerweise wieder einmal nicht in Erfüllung gegangen sind. Nur Blüm kann das schöner.

Außerdem, was soll’s. Das Verfassungsgericht kann ihn schließlich im Falle eines Schuldspruchs nicht einbuchten, noch sein Privatvermögen einziehen oder ihn gar seiner Pensionsberechtigung berauben. Da gilt gleiches wie bei nicht eingehaltenen Wahlversprechen: Du darfst – ungestraft.


 
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