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Zeitgeschichte: Auswärtiges Amt will rechten Verlag mundtot
machen Kinkels langer Arm von Andreas M. DanielEin Bonmot aus Kreisen ostdeutscher Heimatvertriebener,
der einstige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sei "der beste Außenminister, den
Polen je hatte", hat jetzt von dem Landgericht Berlin seine nachträgliche
Aktualisierung erfahren.
Der Kieler Arndt-Verlag - spezialisiert auf Bücher zu den Themen Geschichte, Politik und
Vertreibungsgebiete - hatte bereits 1995 ein Weißbuch des Auswärtigen Amtes aus dem
Jahre 1940 mit dem Titel "Dokumente polnischer Grausamkeiten" nachgedruckt. Es
handelt sich dabei um eine Dokumentation der Ereignisse um den sogenannten
"Bromberger Blutsonntag" vom September 1939, als Tausende von Volksdeutschen im
Gebiet Westpreußen/Posen (das durch das Versailler Diktat mitsamt seiner überwiegend
deutschen Bevölkerung an Polen gefallen war) grausamen und oft sadistischen
Mißhandlungen durch polnische Zivilisten zum Opfer gefallen waren.
Wenngleich diese Dokumentation 1940 zweifelsfrei propagandistischen Zwecken diente, so ist
sie doch ihrem Charakter nach zeitlos, da sie sich im wesentlichen aus eidesstattlichen
Versicherungen Betroffener, gerichtsärztlichen Gutachten, Dokumentarfotos und
gerichtsärztlichen Bildberichten zusammensetzt. Lektüre und Durchsicht setzen allerdings
starke Nerven voraus, und es muß vermerkt werden, daß der sich dabei verfestigende
Eindruck so gar nicht zu der "Opferrolle" passen will, die Polen in der
deutschen Öffentlichkeit zukommt.
Im Juli 1996 trat erstmals das heutige Auswärtige Amt auf den Plan. Es glaubte eigene
Interessen tangiert, da der Nachdruck des Buches den alten Originaluntertitel "Im
Auftrage des Auswärtigen Amtes aufgrund urkundlichen Beweismaterials herausgegeben"
trug. Das Außenministerium forderte den Arndt-Verlag auf, durch einen Aufdruck
"Nachdruck aus dem Jahre 1940" deutlich zu machen, daß nicht das heutige
Auswärtige Amt Urheber der Dokumentation sei. Diesem Wunsch kam der Verlag postwendend
nach.
Trotzdem forderte das Auswärtige Amt Ende Januar 1997 den Verlag in barschem Ton auf,
"noch verfügbare Exemplare zu vernichten" und "untersagte" die
"weitere Vervielfältigung, Verbreitung und Werbung" für das Buch. Diese aus
Urheberrecht begründete Aufforderung erwies sich jedoch als nicht tragfähig, nachdem der
Arndt-Verlag nachweisen konnte, daß das Urheberrecht bis 1945 bei der "Deutschen
Informationsstelle", einer Stiftung öffentlichen Rechts, lag und mit ihr
untergegangen war.
Daraufhin brannten im Amte Kinkel offenbar alle Sicherungen durch. Arndt-Verleger Dietmar
Munier: "Man drohte mir schriftlich an, die Indizierung zu beantragen und sogar
Strafanzeige zu stellen. Das Auswärtige Amt wollte offensichtlich das Buch um jeden Preis
vom Markt haben, Rechtsstaatlichkeit war zweitrangig. Stellen Sie sich einmal vor: Noch
nie wurde die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften so offen als
Zensurbehörde ins Spiel gebracht. Seit das Kanzleramt den Beitritt Polens zur NATO und EU
propagiert, ist dieses Buch, das sich als heimlicher Bestseller entwickelt hat, ein Dorn
im Fleische des Außenministers."
Andererseits müsse man doch bereit sein, aus der Geschichte zu lernen, so Munier. Der
Bromberger Blutsonntag vom September 1939 sei die Fortsetzung der polnischen Übergriffe
auf Deutsche von 1919/21 gewesen und wurde 1945/47 durch polnische Vertreibungsgreuel in
Ostpreußen, Pommern und Schlesien noch bei weitem übertroffen. Diese Tatsachen könne
man nicht durch Verbote totschweigen. Munier: "Denken Sie nur an unsere
Fürsorgepflicht für die verbliebene deutsche Volksgruppe in Oberschlesien. Die klagt
unablässig darüber, daß kein wirksamer Minderheitenschutz besteht und fühlt sich durch
Bonn verraten."
Vor dem Landgericht Berlin ging diese Auseinandersetzung am 10. Juli in die vorläufig
letzte Runde. Vorausgegangen war eine Einstweilige Verfügung der 16. Kammer vom 17.
April, mit der dem Arndt-Verlag die Verbreitung des Buches verboten wurde, "solange
und soweit es" mit dem strittigen Untertitel versehen sei. Der Verlag legte
Widerspruch ein, der jetzt verhandelt wurde. Dabei wuchs der Vorsitzenden Richterin Hengst
die traurige Pflicht einer Unmöglichkeit zu, nämlich der Eilbedürftigkeit - eine
zwingende Voraussetzung Einstweiliger Verfügungen - im vorliegenden Falle zu begründen.
Da das Auswärtige Amt bereits seit Juli 1996 mit Munier korrespondiert hatte, schied
Eilbedürftigkeit im April 1997 in jedem Falle aus. Doch Richterin Hengst nahm diese
Hürde mit erstaunlichem Einfallsreichtum: Die Vereinbarung zwischen Arndt-Verlag und
Auswärtigem Amt vom September 1996 über den Buchaufdruck "Nachdruck aus dem Jahre
1940" sei gar nicht rechtswirksam geworden, denn das Amt habe zwar die Anbringung des
Aufdruckes ausführlich und schriftlich "auf dem Bucheinband" verlangt, aber
eigentlich die "Titelseite" gemeint. Der Aufdruck des Hinweises auf der
Rückseite des Buchumschlages sei daher ein Verstoß des Verlages gegen Treu und Glauben.
Bemerkt habe das Auswärtige Amt diesen Verstoß erst im Frühjahr 1997, so daß im April
noch die Eilbedürftigkeit gegeben sei.
Dietmar Munier machte unterdessen geltend, daß diese Darstellung eine durch keine
Tatsachen belegte Erfindung der Vorsitzenden sei und verwies auf die Eindeutigkeit der
deutschen Sprache - vergebens. Soviel Uneinsichtigkeit wurde schließlich auch der
Vorsitzenden zu viel. Sie bat den Verleger zu sich an den Richtertisch, zeigte auf das
inkriminierte Buch und tadelte ihn: "Was soll denn ein Pole denken, der diesen Titel
liest?"
Damit war es heraus. Bei so deutlich demonstrierter politischer Justiz wähnte Munier
seine Position verloren und schloß auf der Stelle einen Vergleich mit dem Auswärtigen
Amt: Der Verlag verzichtet in Zukunft auf den beanstandeten Untertitel; das Buch ist frei
verkäuflich.
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